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AutorenbildRoger Blum

Das Atlantis von Brandenburg in Gefahr

Invasive Quagga-Muschel am Pfahlbau von Altenhof (Werbellinsee)


Im Norden des brandenburgischen Landkreises Barnim erstreckt sich der bis 55 Meter tiefe Werbellinsee über etwa 9,5 Kilometer Länge von Südwesten nach Nordosten. Eine alte Sage berichtet das sich im See einst die Stadt Werbelow befunden haben soll. Die Stadt soll von einem Herren regiert worden sein, der nur selten Fremde in die Stadt ließ und sein Schloss mit Wasser umgab. Durch Einkünfte aus Wald und Landwirtschaft soll der Reichtum überaus groß gewesen sein, der den Herren zu Übermut, Hartherzigkeit und lockerem Lebenswandel verführte. Die Stadt solle untergehen, wurde vorhergesagt und sie versank dann im See. Die Sage ähnelt den Geschichten von Vineta und Atlantis.


Am Pfahlfeld von Altenhof (Foto: Olaf Görg)


Wie viele Sagen dürfte auch die Geschichte von der versunkenen Stadt im Werbellinsee einen wahren Kern haben. Ursprung der Sage könnten etwa 200 Pfahlstümpfe sein, die sich am Ostufer etwa in der Mitte des Sees vor dem kleinen Ort Altenhof am Werbellinsee in nur 1,5 bis 2 m tiefen Wasser befinden. Der Unterwasserarchäologe Gerhard Kapitän wollte das Geheimnis der versunkenen Stadt im Werbellinsee ergründen. Er untersuchte das Pfahlfeld von Altenhof in den Jahren 1957 bis 1959. Der Fundplatz war zwar schon seit längerer Zeit bekannt, doch hatte eine systematische Forschung bis dahin nicht stattgefunden. Im Juni 1957 reiste er nach Altenhof und ließ sich vom örtlichen Fischer die aus dem Seegrund ragende Pfähle zeigen. Freitauchend erkundete Gerhard Kapitän das Pfahlfeld. Begeistert beschrieb er seine ersten Eindrücke: „An einem Junisonntag schwamm ich, mit Flossen, Maske und Schnorchel ausgerüstet, aber ohne Tauchanzug, im kalten Wasser des Werbellinsees, damit beschäftigt, auf einer Aluminiumtafel mit einem Bleistift die Lage der Pfahlsetzungen zu skizzieren. Der phantastische Anblick der mit Algen bewachsenen Eichenstümpfe (…) begeisterte mich und erregte in mir ein Entdeckungsfieber, das mich die Kälte vergessen ließ.“ Kapitän hatte am Werbellinsee ein geeignetes Forschungsobjekt gefunden, nach dem er lange gesucht hat. Er erkannte, dass die Pfähle sowohl einzeln als auch in unregelmäßigen Gruppen oder Reihen angeordnet waren. Der von Kapitän gefertigte Lageplan zeigte schließlich ein nahezu quadratisches Bauwerk, dass von einer bogenförmigen Palisade geschützt war. Gedeutet wurde die Anlage als eine mittelalterliche Wasserburg (sog. Kemlade).


Anordnung der dokumentierten Pfähle im Luftbild, 2019


In den Jahren 2018/2019 führten der Autor und Jan Seifert gemeinsam mit Prof. Dr. Felix Biermann neue Dokumentations-, Vermessungs- und Prospektionsarbeiten an dem Fundplatz durch. Ziel der Tauchgänge war die Erfassung und Dokumentation des Erhaltungszustandes, die Kartierung der Anlage sowie die Suche nach Artefakten, um anhand der Befunde neue Erkenntnisse zum bislang noch ungeklärten Nutzen der baulichen Anlage zu ermöglichen. Es zeigte sich ein sehr unterschiedlicher Erhaltungszustand der Eichenpfähle. Teils sieht man nur noch zuckerhutförmige Pfahlstümpfe. Die meisten Holzstümpfe schauen nur noch etwa 20 bis 30 cm aus dem Boden. Bei den Tauchgängen stellten wir fest, dass es an der Nordseite der Anlage eine bisher nicht verzeichnete Fortsetzung gibt. Es deuteten in regelmäßigem Abstand zu findende Rindenreste im Sediment auf gezogene Pfähle im nördlichen Teil der Anlage hin. Der Pfahlplan konnte so weiter ergänzt werden.


Invasive Quagga-Dreikantmuscheln haben sich an den Pfählen festgesetzt und können erhebliche Schäden verursachen, 2024 (Foto: Dr. Roger Blum)


Die Pfähle sind in den meisten Fällen bis zum Grund abgefault und mit Dreikantmuscheln besetzt. Ein Monitoring im Juli 2024 hat ergeben, dass die Eichenpfähle der Kemlade heute fast vollständig von Quagga-Dreikantmuscheln (Dreissena rostriformis bugensis) besetzt sind. Seit mehreren Jahren breitet sich die invasive Muschelart explosionsartig im Werbellinsee aus. Die Muschel stammt ursprünglich aus den Zuflüssen des Schwarzen Meeres und breitet sich in Europa und Nordamerika als Neozon aus. Der „fantastische Anblick“ des Pfahlfeldes, den Kapitän einst beschrieben hat und den ich selbst noch vor ein paar Jahren erleben durfte, ist heute stark getrübt. Da die Muschel erhebliche Schäden an dem Bodendenkmal verursachen kann, sollten Schutzmaßnahmen erworgen werden.


Quagga-Dreikantmuscheln an einem Eichenpfahl, 2024 (Foto: Dr. Roger Blum)


Weiteres zu Forschungsgeschichte und Deutung des Pfahlbaus findet ihr in:

Felix Biermann/Roger Blum/Jan Seifert: Ein markgräflicher Pfahlbau im Werbellinsee: die spätmittelalterliche Kemlade von Altenhof (Brandenburg), in: Burgen und Schlösser, 2/2020, S. 66-94.


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