Auf den Spuren von Rethra
Seit über einhundert Jahren suchen Archäologen, Heimatforscher und Hobbyschatzjäger die sagenhafte Tempelburg Rethra. Hier soll das zentrale Heiligtum der Elb- und Ostseeslawen gestanden haben und im Jahre 983 der große Aufstand der im Liutizenbund vereinigten slawischen Stämme beschlossen und der Widerstand der Slawen gegen die Christianisierung koordiniert worden sein. An mehr als 30 Orten wurde Rethra bisher vermutet, u.a. auf den Inseln des Carwitzer Sees, dem Amtswerder in Feldberg und auf dem Schlossberg am Breiten Luzin. Doch sicher lokalisiert wurde die Tempelburg der Slawen bisher nicht.
Gesucht wurde eine „dreihörnige“ Inselburg, wobei die „Hörner“ als drei Landzungen gedeutet wurden. Eine derartige naturräumliche Situation findet man im Carwitzer See. Der größte See der Feldberger Seenplatte ist durch drei Halbinseln (Conower Werder, Bohnenwerder und nördlich die Halbinsel zwischen Carwitzer See und Zansen) so stark gegliedert, dass er fast in mehrere Bestandteile zerfällt. Im See befinden sich einige Inseln (Jägerwerder, Gänsewerder, Steinwerder, Bollenwerder, Kohlwerder). Im Jahre 1883 wurden bei einer Grabung auf dem Jägerwerder die Reste eines kleinen Einschmelzofens gefunden. Angeblich soll sich mitten im See auch eine Untiefe befinden. Auf ihr sollen in nur 1,5 Meter Wassertiefe die Stümpfe von gefällten Eichen zu sehen sein.
Auf den Inseln und Halbinseln des Carwitzer See wurde zwar eine Vielzahl an slawischer Keramik gefunden, doch konnte Rethra dort nicht nachgewiesen werden. Dann wurde der Amtshof auf dem Amtswerder in Feldberg als möglicher Standort von Rethra angesehen. Der Wasserstand war zur Slawenzeit deutlich niedriger, so dass sich die damalige Halbinsel heute zum großen Teil unter der Wasseroberfläche des Haussees befindet. Gustav Oesten und Rudolf Virchow beschrieben Ende des 19. Jahrhunderts, dass sie entlang der Halbinsel Feldberg unter der Wasseroberfläche Reste von Bauten aus Eichenholz, Brückenreste und im Durchstich vom Haussee zum Luzin gut erhaltene, bis zu 40 cm starke, scharf vierkantig bearbeitete eichene Pfähle mit dahinterliegenden Bohlen als bollwerkartige Uferbefestigung lokalisiert hatten. Sie fanden neben einer Vielzahl an Keramikscherben, Eisengegenstände, Messer, eine Pfeilspitze, einen Kamm aus Knochen, ein Gefäß mit Wellenverzierung, einen Spinnwirtel und einen Stechschlüssel aus bronzeartigem Metall. Es wäre interessant die Eichenpfähle im Haussee sowie die Untiefe im Carwitzer See zu lokalisieren, den Zustand zu dokumentieren und Holzproben zur dendrochronologischen Untersuchung zu entnehmen.
Einen weiteren Standort Rethras wurde auf dem Schlossberg am Breiten Luzin vermutet. In den 1920iger Jahren kam Carl Schuchhardt nach Untersuchungen vor Ort zu dem Ergebnis, dass es sich bei der Burganlage auf dem Schlossberg um das lange gesuchte Rethra handeln müsse. Es wurden frühslawische Spuren aus dem 7./8. Jahrhundert in der Höhenburg auf dem Schlossberg bei Feldberg gefunden. Die Keramikfunde vom Schlossberg zeigen einen besonders qualitätsvollen Stil, der nach der von Ewald Schuldt aufgestellten Typologie slawischer Keramik in Mecklenburg als Feldberger Gruppe bezeichnet wird. Bis in die frühen 1950er Jahre hinein glaube man, dass hier Rethra gelegen habe.
In den 1960iger Jahren wollte Joachim Herrmann diese Annahme überprüfen. 1966 erfolgten hier auch unterwasserarchäologische Arbeiten. Da der Breite Luzin den Schlossberg auf zwei Seiten umgibt, war anzunehmen, dass die ehemaligen Bewohner ihre Spuren auf dem Seegrund hinterlassen haben. Daher lag es nahe, bei der Vorbereitung der Grabung auf dem Schlossberg auch an den Einsatz von Tauchern zu denken. Begleitend zur Feldgrabung wurden Tauchuntersuchungen durchgeführt. Die Unterwasserarbeiten wurden von der Arbeitsgemeinschaft für Unterwasserforschung der Akademie der Wissenschaften zu Berlin unter der tauchtechnischen Leitung von Martin Rauschert durchgeführt. Die Tauchergruppe bestand aus Martin Rauschert, Peter Scharf, Alfred Kupke, Walter Richter und Klaus Hamann.
Durch die Anlage mehrerer Schnitte auf dem Seegrund mit Hilfe einer Druckpumpe gelang es den Tauchern in etwa 50 bis 70 cm Tiefe unterhalb des Seegrundes Reste der Bau- und Brandschicht der Burg zu finden. Die Funde lagen im Wesentlichen in einer Bucht nördlich der Burg, zu der ein Hohlweg vom westlichen Burgtor hinabführte. Diese Bucht diente wahrscheinlich als natürlicher Hafen. Sie fanden dort auch das Unterteil eines Einbaums. Der Einbaum war aus einem Eichenstamm von ungefähr einem halben Meter Durchmesser und einer Länge von 3,5 m hergestellt worden. In etwa gleicher Tiefe fanden die Taucher auch die Überreste mehrerer Reusen. Die Taucharbeiten bildeten eine beachtliche Ergänzung der Feldgrabungen auf dem Schloßberg bei Feldberg und trugen zur Erkundung der Lebens- und Produktionsbedingungen der Bewohner der Stammesburg bei.
Die Ausgrabung führte letztlich zu dem Ergebnis, dass es sich um die Überreste einer im 8. oder frühen 9. Jahrhundert zugrunde gegangenen slawischen Stammesburg handelte. Rethra existierte dagegen im 10. bis 11. Jahrhundert, also in einer Zeit, als die Burg auf dem Schlossberg bereits verödet war. Die Rethra-Hypothese war damit widerlegt. Die Suche nach der sagenhaften Tempelburg der Slawen geht also weiter.