Dass diese Reise nichts für schwache Nerven werden würde, war klar. Dennoch fanden sich neun Taucher des Tauchsportklubs Adlershof e.V. Berlin und drei Nichttaucher, um sich - allen vorherigen Unkenrufen zum Trotz - ein eigenes Bild von Vietnam und dem absolut unerschlossenen Tauchgebiet Halong Bay zu verschaffen. Im Vorfeld der Reise übernahm Thu, die vietnamesische Schwägerin unseres Klubmitglieds Martina, den Großteil der Organisation und vor Ort übernahm sie dann die Funktion der Dolmetscherin, während sich ihr engagierter Bruder Hung um all unsere kleinen und großen Wünsche kümmerte.
Bei strahlendem Sonnenschein stiegen wir in Berlin-Schönefeld in eine IL-62M der legendären Aeroflot Richtung Moskau. Dort angekommen, half uns irisches Guiness die siebenstündige Wartezeit zu überbrücken, bis es weiter nach Osten nach Nowosibirsk ging. Der Flug war durch die großzügig bemessenen Sitzgelegenheiten sehr angenehm, so dass die russische Fluggesellschaft offensichtlich doch besser ist als ihr Ruf. Nach kurzem Zwischenstop in Nowosibirsk flogen wir weiter mit Kurs auf Hanoi. Schon beim Landeanflug auf die vietnamesische Hauptstadt sahen wir aus den Fenstern die leuchtend grünen Reisfelder, auf denen Wasserbüffel standen und Bäuerinnen mit den landestypischen Strohhüten arbeiteten.
„Stelle Dich bei der Abfertigung nie hinter einen Vietnamesen!“, wusste die Reiseliteratur zu berichten - und sie behielt recht. Thu bekam prompt Probleme mit den Behörden. Angeblich war ihr Visum nicht echt. Der Pass wurde sogleich eingezogen und sie sollte sich einige Tage später bei der Einreisebehörde in Hanoi melden.
Vor dem Flughafen wurden wir von Thu´s Familie mit Blumen herzlich empfangen. Nach einer köstlichen Bewirtung im Hause ihrer Eltern ging es noch am selben Abend weiter Richtung Halong. Nach einer mehrstündigen Fahrt erreichten wir endlich unser Hotel in Bai Chay, einem Vorort von Halong-City.
Zunächst einmal wollten wir die Gegend erkunden. Schon vom Balkon unserer Zimmer hatten wir einen herrlichen Ausblick auf die Halong-Bucht mit ihren tausenden Inseln, die als Türme, Kegel und Kuppen aus dem Wasser ragen. Diese Bucht einmal rauf unter dann wieder runterzuschippern wäre bei einer Fläche von ca. 1.500 qkm ein langwieriges Unterfangen geworden und so begnügten wir uns täglich mit kleinen Bruchstücken.
Die Legende erzählt, dass die Inseln von einem riesigen Drachen geschaffen wurden, der zur Abwehr der mongolischen Invasion vom Himmel heruntergestiegen sei. Als er von den Bergen zur Küste rannte, riss er mit seinem umherschlagenden Schwanz Täler und Klüfte ins Land, die sich später mit Wasser füllten und im Vorbeilaufen habe er auch gleich eine Menge Höhlen auf den Inseln hinterlassen.
Legende hin oder her, jedenfalls war diese Szenerie wohl als einmalig zu bezeichnen. Hier wollten wir also nun die folgenden zehn Tage durch kristallklares Wasser tauchen, und da es über der Wasseroberfläche unzählige Höhlen gibt, gingen wir davon aus, dass es auch unter Wasser welche geben müsse.
Wir wollten diese Vermutung so schnell wie möglich überprüfen und freuten uns schon auf den ersten Tauchgang, der gleich am nächsten stattfinden sollte. Ein Foto, das am Abend von den Vietnamesen stolz herumgezeigt wurde, zeigte die Ausrüstungsgegenstände der „Basis“: Fachmännische Blicke erkannten sofort, dass es sich um zwei 2 x 7-Liter-Flaschen mit INT-Anschluß (selbst darauf waren wir vorbereitet) und dazugehörige ABC-Ausrüstung handelte.
Der Kompressor, ein altbekanntes Stück aus Gera, war anscheinend noch nie von einer Mechanikerhand berührt worden, auch wenn unsere vietnamesischen „Tauchguides“ anderer Meinung waren. Jedenfalls entschloss sich eines unserer Mitglieder spontan, seinen ersten Tauchgang im Südchinesischen Meer auf unbestimmte Zeit zu verschieben.
„Checktauchgang“ – Sicherheit wird auch hier groß geschrieben. Nachdem sämtliche Flaschen an Guide, Marcus und Patrick ausgegeben waren, konnte es losgehen. Umziehen, Ausrüstung anlegen, Regler in den Mund, Luft holen und ... kräftig ausspucken. Leider sahen sich die beiden deutschen Sportsfreunde nicht in der Lage, schon zu mittäglicher Stunde eine volle Dröhnung Zweitakterabgase, vermischt mit öligen Rückständen, zu vertragen. Eigentlich schade, denn dadurch musste der gemeinsame Abstieg zum völligen Unverständnis der Tauchguides abgesetzt werden. Dieser wagte sich dann allein in die Fluten und bot nach Zeugenaussagen den Anblick einer über den Grund laufenden Schildkröte.
Was blieb jetzt zu tun? Schnorchel, Maske, Flossen angeschnallt und ab auf Erkundungstour. Korallen, deren Farben durch den fast immer bedeckten Himmel (welcher eigentlich zu dieser Jahreszeit immer strahlen sollte) nicht richtig zur Geltung kommen konnten, in verschiedensten Formen, Krebse und anderes kleines Getier waren reichlich zu betrachten.
Um die Chance auf einen richtigen Tauchgang nicht verstreichen zu lassen, leisteten Dieter und Jürgen den vietnamesischen Tauchguides tatkräftige Hilfe am Kompressor. Sie waren einen ganzen Tag damit beschäftigt, den völlig verkeimten Kompressor halbwegs zu reinigen. Der angeblich regelmäßig gewechselte Aktivkohlefilter musste zunächst einmal der Länge nach aufgebohrt werden, so fest hatte sich die Kohle „plötzlich“ gesetzt. Nach einem weiteren Nachmittag Arbeit konnte es, zusätzlich ausgerüstet mit aus dem „Nichts“ auftauchenden vier 8-Liter-Flaschen, mit frischem Mut wieder aufs Meer hinausgehen. Außer dass der Kompressor weiterhin nur 150 bar Druck auf die Flaschen ermöglichte, sollte nun dem Tauchen nichts mehr im Wege stehen...
Jürgen und Roger sprangen als erste ins Wasser. Was wird sie wohl erwarten? Sie schwebten langsam nach unten und sahen im trüben Wasser zuerst die langen, nesselbesetzten Stengel der Seepeitschen. Die Sicht betrug weniger als 3 m, so dass es in 10 m Tiefe schon stockdunkel war. Im Lichtkegel der starken Lampen zeigte sich jedoch das kräftige Rot von Gorgonienfächern, auf denen häufig Haarsterne saßen, Röhrenwürmer, Seeigel mit langen nadelförmigen Stacheln, Seegurken und Schnecken mit herrlich gemustertem Gehäuse. Doch etwas war unheimlich...es fehlten die Fische.
Fische gab es woanders – wir sahen sie später mit eigenen Augen auf dem Markt. Das Riff dagegen wirkte wie ausgestorben. Ähnlich war es auch an allen anderen Tauchplätzen. Der einzige „Großfisch“ den wir sahen, war ein Rotfeuerfisch. Um so interessanter waren die Quallen: Mit einem Durchmesser von über 80 cm waren sie hier die Attraktion. Aufgrund ihrer Größe sind diese Quallen sehr schnelle Schwimmer und man muss ganz schön aufpassen, um nicht mit ihnen in Berührung zu kommen. Nach einigen Unstimmigkeiten über Anlegemanöver und einer völlig überhöhten Rechnung für den Tauchgang reifte in uns bereits die Überlegung, das Tauchen in Vietnam als erledigt zu betrachten. Immerhin konnte jetzt jeder der wollte abends behaupten, schon mal in Vietnam getaucht zu sein. Aufgrund der Preisforderung und der Begleitumstände bestand jedenfalls die einhellige Meinung, dass dies der letzte Tauchgang mit diesen Führern war.
Doch schon einen Abend später konnten akzeptable Bedingungen ausgehandelt werden und aus diesem Grund ging es also doch wieder hinaus.
Die Crew war dieses Mal erstaunlich gut vorbereitet, nur in der Wahl des Tauchgrundes vertaten sie sich ein wenig. Wer an diesem Vormittag berichten konnte, eine Sicht von 2 m gehabt zu haben, war ohne Zweifel zu den extrem Glücklichen zu zählen. Andere wurden von Fortuna weniger begünstigt. Nach diesem Fehlschlag wurden unsere Guides nun doch etwas aktiver, denn es gibt für die gastfreundlichen Menschen in Vietnam nichts schlimmeres als unzufriedene Gäste. Dadurch bot sich uns die Gelegenheit zu einem zweiten Tauchgang an anderer Stelle, welche insgesamt als der Gelungenste zu bezeichnen ist: Ausreichend gute Sicht, ein annehmbares Korallenriff, Schwärme kleiner Fische, ein Rotfeuerfisch und eine riesige Qualle ließen ihn zum Erfolg werden.
Natürlich führten wir auch weiterhin Bootsfahrten und Schnorcheltouren durch. Nahezu täglich fuhr uns Quang, unserer Kapitän und Koch, hinaus in die Bucht – zu kleinen unbewohnten Inseln mit weißem Korallenstrand und tropischer Vegetation. Während wir auf den Inseln unseren Forschertrieb an fetten Tausendfüßlern, Ameisenpfaden und handgroßen Spinnen auslebten, bereitete er auf dem Schiff das Mittagessen zu: Es wurden Saigonröllchen, Tintenfisch, Garnelen, Hühnchen, Muscheln ... und natürlich Reis aufgetischt - jeden Tag mehr als zehn Gerichte!
Trotzdem blieb genügend Zeit für fotografische Erkundungsgänge in der Stadt, Höhlenbesichtigungen und Trinksprüche auf die deutsch-vietnamesische Freundschaft sowie das Vervollständigen der Russisch- und Ungarischkenntnisse. Aufgrund natürlicher Sprachbarrieren gestaltete sich die Kontaktaufnahme zu den Vietnamesen nicht immer einfach, weshalb unserer Versatz, den nächst möglichen Englischkurs zu besuchen, schnell gefasst war.
An einem Tag kehrten wir erst nach Einbruch der Dunkelheit von der sogenannten Affeninsel nach Bai Chay zurück. Der Motor tuckerte wie üblich lautstark vor sich hin, bis unser Boot plötzlich mit einem heftigen Ruck zum Stehen kam. Da es bereits stockdunkel war und unser Schiff weder Positionsleuchten noch Scheinwerfer hatte, mussten unsere Taucherlampen herhalten. Es stellte sich schnell heraus, dass wir auf eine Sandbank aufgelaufen waren. Quang sprang ins hüfthohe Wasser und versuchte das Schiff zu befreien, doch es war zwecklos. Bis zum Ufer waren es noch über 100 Meter und keiner von uns hatte Lust, auch nur den kleinen Zeh in das Hafenwasser zu tauchen. Aber irgendwie mussten wir hier wegkommen. Käpt´n Quang übernahm wieder das Ruder. Auf sein Kommando mussten wir nun alle entweder nach Backbord, Steuerbord oder zum Bug des Schiffes rennen.Manchmal neigte es sich so sehr zur Seite, dass wir Angst hatten zu kentern. Immer wieder heulte der Motor laut auf und tatsächlich, endlich schafften wir es, von der Sandbank weg zu kommen.
Nach zehn Tagen ließen wir die liebenswerten Leute im Halonger Hotel zurück und begaben uns ins pulsierende Hanoi, der Hauptstadt des Landes. Dort konnten wir, nachdem wir uns seit fast zwei Wochen ausschließlich von Muscheln, Schnecken und sonstigem Getier ernährt hatten, endlich wieder europäische Gerichte zu uns nehmen.
Neben Stadtrundgängen, Rikschafahrten sowie Besuchen des Armeemuseums und des Chua Ngoc Son Tempels, den man über die „Rote Brücke“ auf einer kleinen Insel im Ho Hoan Kiem, dem See des zurückgegebenen Schwertes erreichen kann, besichtigten wir auch das Ho-Chi-Minh-Mausoleum.
Im Rückblick auf unsere Reise müssen wir erkennen, dass das touristische Tauchen in Vietnam noch ziemlich in den Kinderschuhen steckt, desgleichen die Organisation. Dennoch hat diese Region ihren eigenen, ganz speziellen Reiz und so haben wir uns geschworen, schon bald wiederzukommen!
(Erstveröffentlichung in „Eurodiver“ Ausgabe 01/2003)
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