Auf der Suche nach Riesenhaien vor den Hebriden
In den letzten Jahren habe ich schon vieles gesehen, was in unseren Weltmeeren so rumschwimmt. Wale, Delphine, Rochen und Haie. Ich bin mit dem größten Fisch der Welt, dem Walhai, vor Kenia getaucht und habe Wale vor Monterey an der Westküste der USA beobachtet. Nur der Riesenhai fehlt mir bisher noch. Mit einer Größe von bis zu zehn Metern und einem Gewicht von vier Tonnen ist er nach dem Walhai der zweitgrößte Fisch der Welt. Vor der Hebriden-Insel Coll in Schottland liegt einer der Topspots weltweit, um auf die dunkelgrauen Riesen zu treffen. Und so zog es mich natürlich während meiner Reise nach Schottland dorthin.
Schottland ist der nördliche Landesteil des Königreiches Großbritannien und somit für Europäer ein schnell zu erreichendes Reiseziel. Die herbe Schönheit der Highlands mit ihren weiten Heideflächen und den grünen, malerischen Flusstälern, die sich zu romantischen Seen wie dem legendären Loch Ness weiten, zeigen Schottland in seiner einzigartigen Ursprünglichkeit. Dünn besiedelt, karg und wild. Eigenwillig geformte Bergkämme wechseln sich mit saftig-grünen Hügelwelten ab, die bis zu den rauen Küstenlandschaften reichen. Weite Hochmoore, über die der Nebel zieht, prägen ebenso das Bild Schottlands wie die unzähligen dunklen Seen, in denen unheimliche Monster lauern oder gar ganze Städte versunken sein sollen. Und immer wieder trifft man auf düstere Gemäuer, von denen man sagt, dass in ihnen unruhige Geister spuken sollen. Meist sind diese Abteiruinen, viktorianischen Herrschaftshäuser und teils herrschaftlichen Burgen, die den Charme alter Edgar-Wallace-Filme verbreiten, noch sehr gut erhalten und können als stilechte Unterkunft genutzt werden.
Stalker Castle
Ganz klar ist Schottland ein Ziel für Wanderer, Biker und Angelurlauber, die den Reiz wilder Landschaften und einsamer Gegenden schätzen. Aber auch Taucher aus aller Welt zieht es jedes Jahr an die schottische Westküste, um hier ein besonderes Erlebnis zu erleben: das Tauchen mit Riesenhaien. Von Frühling bis Herbst schwimmen die Riesen vor den Küsten der Britischen Inseln von Cornwall bis zu den Hebriden, und dann weiter vor dem europäischen Kontinentalsockel bis nach Nord-Norwegen.
Riesenhaie (Cetorhinus maximus) können bis zu zehn Meter in der Länge messen – und sind damit nach den Walhaien die zweitgrößten Fische der Erde. Beide Haiarten reißen ihr Maul weit auf, aber nur um sehr kleine Meerestiere zu fischen. Sie sind völlig harmlos und leben von Plankton und winzigen Lebewesen, die sie mit ihrem Riesenmaul aus dem Wasser filtern. Zur Nahrungsaufnahme schwimmen Riesenhaie häufig dicht an der Wasseroberfläche und filtrieren mit weit geöffnetem Maul und langsam schwimmend das Plankton aus dem Wasser, das an den Reusen der Kiemen verfängt und dann abgeschluckt wird. Die langsamen Schwimmbewegungen an der Oberfläche wurden in früheren Zeiten als „Sonnenbaden“ fehlinterpretiert, was ihnen den englischen Namen „Basking Shark“ (der sich sonnende Hai) einbrachte. Bei ruhiger See und sonnigen Wetter kann man die friedlichen Meeresriesen mit bloßem Auge an ihren aus dem Wasser herausragenden dreieckigen Rückenflossen erkennen.
Die Chancen auf eine Begegnung mit Riesenhaien sind in den Gewässern um Schottland in den Sommermonaten besonders hoch, wenn sie sich zur Zeit der Planktonblüte zwischen Juni und August etwa vor der Insel Coll am westlichen Rand der Inneren Hebriden aufhalten. Nicht selten kann man hier gleich mehrere Riesenhaie auf einmal sehen, was die Videos und Twitter-Posts von Basking Shark Scotland beweisen, einem lokalen Anbieter, der ein- und mehrtägige Schnorchel- und Tauchtouren zu den Riesenhaien anbietet. In der Hochsaison empfiehlt es sich, die Touren mehrere Monate vorab zu buchen, denn die Shark-Watching-Ausflüge sind sehr gefragt.
Meine Reise führte mich Anfang September nach Schottland. Leider war es für die Buchung einer Basking Shark Tour eine Woche zu spät, die Ausflüge werden nur bis Ende August angeboten, da dann die Tiere das Gebiet verlassen, um dann weiter nach Norden zu ziehen. Als Ersatz buchte ich einen Schnorchel-Ausflug zu den Seehund-Kolonien in dieser Umgebung. Die Wahrscheinlichkeit auf dem Weg dorthin auf Riesenhaie zu treffen lag nicht schlecht, da ja nicht alle Tiere pünktlich nach Kalender das Gebiet verlassen. Auch in der Hochsaison gibt es keine Garantie auf Hai-Sichtungen, die Erfolgsquote soll aber bei 75% liegen.
Noch weniger planbar ist das Wetter. Das Wetter in Schottland ist sehr wechselhaft und nicht gerade für Konstanz und Vorhersagbarkeit berühmt. An einem Tag kann man alle Vier Jahreszeiten erleben. Ein Blick in die Zukunft ist ein Blick in die Glaskugel. Selbst über einen Tag lässt sich hier das Wetter nicht genau vorhersagen. Dies bekam ich hautnah bei der Planung des Ausflugs zu spüren. Aktuelle Prognosen können sich innerhalb weniger Stunden ändern. Vorhersagen die morgens noch galten, waren nachmittags schon wieder Geschichte, um abends erneut als durchaus wahr eingeschätzt zu werden. Da eine Ausfahrt nur bei guten Wetterverhältnissen Sinn macht, wurde die Tour das eine und andere Mal verschoben und im weiteren Verlauf letztendlich dann alles wieder revidiert. Das ging bis zu Tag zuvor so weiter. Aber kein Problem. Ich war ja flexibel. Und so starteten wir bei herrlichstem Wetter den Ausflug.
Ausgangspunkt der Tour war die kleine Ortschaft Oban, das Tor zu den westlich gelegenen Hebriden-Inseln. Von dem nahegelegenen Hafen Dunstaffnage ging es Richtung Coll, dem besten Standort, um den spielerischen Robben zu begegnen und die Riesenhaie aufzuspüren.
Unweit des kleinen Hafens von Dunstaffnage ruht das Wrack der SS Breda, einem Schwesternschiff der berühmten SS Thislegorm. Der Frachter ankerte am 23. Oktober 1940 als Teil eines Konvois Richtung Mombasa, Karachi und Bombay vor Lismore als bei Einbruch der Dämmerung aus Stavanger (Norwegen) kommend eine Gruppe von Heinkel He 111 Bombern die Schiffe angriffen. Zwar wurde das 123 m lange Schiff nicht direkt getroffen, aber vier 250-Kilogramm-Bomben verfehlten ihr Ziel nur knapp. Ein wichtiges Seewasseransaugrohr wurde beschädigt und das Schiff begann zu sinken. Heute liegt das Wrack in 20-35 m Tiefe auf sandigen Boden und ist ein gern angesteuerter Tauchspot.
Schnell ließen wir den Hafen hinter uns und fuhren Richtung Isle of Mull. Die vor der Westküste des Festlands gelegene Insel ist die drittgrößte Insel Schottlands. Die beiden Außenborder peitschten das Meer und wir kamen an einigen Leuchttürmen vorbei, die von dem schottischen Ingenieur Thomas Stevenson gebaut wurden. Dessen Sohn Robert Louis Stevenson folgte zum Leidwesen des Vaters nicht der Familientradition (auch Thomas Vater Robert Stevenson und seine Brüder Alan und David Stevenson waren Leuchtturmbauer), sondern erlangte als Schriftsteller Ruhm. Man sagt, Robert Louis Stevenson kam auf die Idee für seinen berühmten Roman "Die Schatzinsel", da er in seiner Kindheit so viele Tage auf einsamen Inseln verbracht hatte, während sein Vater dort die Leuchttürme baute.
Der Bau der Leuchttürme in Schottland ist eng mit der Familie Stevenson verbunden, die zwischen 1786 und 1940 an der schottischen Küste knapp 100 von ihnen errichteten.
Auch kamen wir an Duart Castle vorbei, einem schottischen Schloss, dass auf der Isle of Mull liegt und sich bis ins 13. Jahrhundert zurückdatieren lässt. Das Schloss ist der Sitz des schottischen Clans der MacLeans und war 1969 Drehort des Films "When Eight Bells Toll" mit Anthony Hopkins. 1999 wurde hier außerdem der Film "Die Verlockende Falle" mit Sean Connery und Catherine Zeta-Jones gedreht.
Duart Castle
Vorgelagert liegt die kleine Felsformation Lady Rock, die nur bei Ebbe zu sehen und bei Flut vom Wasser überspült ist. Hier gibt es auch eine schöne Geschichte. 1527 entschied sich Lachlan MacLean of Duart seine Frau, Lady Campbell, eine Schwester von Archibald Campell, 4th Earl of Argyll, zu ermorden. Eines nachts ruderte er bei Ebbe zu der kleinen Felsformation und setzte seine Frau dort zum Sterben aus. Als er am nächsten Tag von seinem Schloss Duart Castle aus nach Lebenszeichen seiner Frau Ausschau hielt, sah er - wie gehofft - nur den leeren Felsen. Seine Frau war wie geplant von den Fluten verschluckt worden. Sofort sendete er ein Kondolenzschreiben an den Earl in Inveraray Castle und kündigte an, dass er den Leichnam seiner Frau für eine Beerdigung bringen wolle. Als McLean mit seiner Begleitung Inveraray erreichte, wurde er zu Speis und Trank in die große Speisehalle geführt. Zu seiner großen Verwunderung saß dort Lady Catherine quicklebendig am Kopf des Tisches und erwartete ihn. Wie hatte sie überleben können? In der Nacht war sie von einem Fischerboot aus Tayvallich gerettet worden, dass an der Felsformation vorbeigekommen war und ihre Schreie gehört hatte. Doch über diesen Vorfall wurde kein Wort beim Essen geredet und MacLean wurde auch die Abreise aus Inveraray erlaubt. Kurze Zeit später wurde er jedoch durch Sir John Campbell of Calder, dem Bruder von Lady Catherine, in seinem Bett in Edinburgh ermordet.
Es geht den Sound of Mull hinauf, wobei Ausschau nach Seeadlern (Haliaeetus albicilla) gehalten wird. Mit einer Flügelspannweite von bis zu 270 cm sind sie Europas größte Greifvögel. Sie sind an ihrem großen gelben Schnabel, dem hellen Kopf und dem weißen Schwanz zu erkennen. In Schottland waren die Seeadler bereits seit 1916 ausgestorben und wurden erst vor vier Jahrzehnten in den 1970er Jahren wieder aus dem arktischen Gebieten Norwegens in Schottland ausgewildert. Seitdem steigt die Population langsam wieder an, hauptsächlich hier auf den Hebriden. Im Jahre 2010 brüteten in Schottland wieder 52 Seeadlerpaare und es flogen 46 Jungadler aus.
Mull ist einer der besten Orte in Schottland, um Seeadler zu beobachten.
Wir machen einen kurzen Zwischenstopp im hübschen Städtchen Tobermory im Nordosten der Insel. Ein charmanter kleiner Ort, der nur darauf wartet, erkundet zu werden. Hell gestrichene Gebäude stehen am Ufer und es gibt viele kleine Geschäfte und ein liebevoll gestaltetes Aquarium.
Tobermory ist die Hauptstadt der Isle of Mull
Nachdem wir in Tobermory noch einen Passagier aufgenommen hatten, geht es weiter zu einer Lagune vor der Insel Coll. Die Bootsfahrt dauert eine weitere Stunde und mit etwas Glück, kann man hier neben Seevögeln und Seeadlern auch auf Gemeine Delphine, Große Tümmler, Schweinswale, Minkwale und Orcas anzutreffen. Und natürlich die Riesenhaie.
So steifen meine Blicke über die Wasseroberfläche, immer auf der Suche nach einer dreieckigen Rückenflosse. Dann ein Deuten mit dem Zeigefinger: Zwischen Boot und Küste schneiden Rückenflossen durchs Wasser. Eine Schule Delphine. Der Rücken der Tiere ist schwarz oder braun, der Bauch weißlich. An den Seiten befindet sich eine stundenglasartige Zeichnung die vom hellen Gelb ins Grau verläuft. Es sind Gemeine Delphine (Delphinus delphis), sehr gesellige Meeressäuger, die in größeren Schulen, die bis zu tausend Individuen umfassen können, leben. Im Gegensatz zu ihnen leben die ebenfalls hier vorkommenden grau gefärbten Großen Tümmler (Tursiops truncatus) in wesentlich kleineren Schulen, die im Schnitt nur aus zwei bis fünf Individuen bestehen.
Gemeine Delphine vor Coll
Kurze Zeit später zeigt sich die Flosse eines ganz anderen Tieres. Eine viel größeren Exemplars. Ein Riesenhai? Der Gashebel wurde zurückgestellt, ab jetzt war Schleichfahrt angesagt. Mit dem Fernglas an den Augen tuckerten wir durch die See. Noch einmal zeigte sich die Flosse, dann war sie weg. Wahrscheinlich ein Minkwal.
Wir fahren weiter zu der Lagune, in der uns nichts mehr an Schottland erinnert. Das Wasser leuchtet blau und der weiße Mini-Strand könnte es auch mit Stränden in der Karibik aufnehmen. Hier kommen zwei Seehundarten vor. Zum einen die mächtigen, bis 300 kg schweren Kegelrobben (Halichoerus grypus) und zum anderen die nur halb so schweren Seehunde (Phoca vitulina), die von den Schotten „Harbour Seal“ genannt werden. Die einen sind eher scheu, die anderen neugierig. Es dauert nicht lange, bis die Tiere sich unserem Boot nähern und unseren Treiben neugierig zuschauen.
Wir pellen uns in die dicken Neoprenanzüge, die bei einer Wassertemperatur von 11 bis 15 Grad Celsius auch dringend notwendig sind. Dann geht es ab ins Wasser. Kelpwälder winden sich an die Oberfläche und Felsen und die Wände sind mit bunten Weichkorallen und Anemonen überwuchert. Schon bald nähern sich die ersten Robben, um unsere Schnorchelgruppe mehr oder weniger zutraulich zu begutachten. Immer wieder lugen ihre knopfaugigen Köpfe aus dem Wasser, tauchen dann ab und umschwimmen uns in sicher Entfernung. Schon das Erspähen ihrer länglichen, eleganten Silhouette lässt mein Taucherherz höher schlagen. Sie tanzen elegant um uns herum, trauen sich immer näher heran, flitzen dann wieder an uns vorbei und verschwinden im Blau, um sich von hinten wieder anzuschleichen.
Ein einmaliges, unvergessliches Erlebnis. Und wenn sich gerade keine Seehunde blicken lassen, kann man Fischschwärme im sich wiegenden Kelp und krabbelnde Krabben entdecken.
Nach einer Stunde kommen alle Schnorchler begeistert zurück.
Auf dem fast dreistündigen Rückweg nach Dunstaffnage geniesen alle noch die herrliche Abendstimmung. Als dann auch noch eine weitere Schule Delphine auftaucht, die im Sonnenuntergang das Schiff begleitet, ist das Glück vollkommen. Dass wir keinen Riesenhai gesehen haben, macht mich nicht traurig. Denn ich komme bestimmt wieder zurück…
Text/Fotos: Steven Blum
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