top of page
AutorenbildRoger Blum

Bergung eines slawischen Brückenpfahls im Oberuckersee

Aktualisiert: 13. Jan.

von Jan Seiffert


Dies ist der Bericht über eine Bergung, die im Jahre 2006 begann und 2015 zum Abschluss kam. Es wurde nicht ständig daran gearbeitet, in der Regel wurden jeweils im Sommer ein oder zwei Versuche mit verschiedenen Techniken unternommen. Das Ziel war nicht nur der Pfahl selber, sondern ebenso ein Lernprozess im Sinne von Versuch und Irrtum unter dem Einsatz verschiedenen Gerätes, das zum größten Teil selbst entworfen und gebaut wurde. Der unmittelbare Anstoß zu diesen Bemühungen war ein Gespräch nach dem vorläufigen Abschluss der Prospektion der Brückenreste zwischen Fergitz und der Burgwallinsel durch den Verein für Unterwasserarchäologie Berlin-Brandenburg e.V. unter Andreas Schablowski in den Jahren 2001 – 2006.



Wer sich mit dem Oberuckersee beschäftigt, stößt schnell auf die Spuren alter Besiedlung. Die Insel inmitten des Sees ist unübersehbar und spätestens beim Betrachten dessen, was sich unter mannshohen Brennesseln und Gestrüpp am Fuße uralter Bäume erkennen lässt wird einem klar, dass hier der Mensch vor langer Zeit die Landschaft verändert hat. Ein Ringwall dominiert den südlichen Teil der Insel, mehrere Meter hoch und ca. 100 m im Durchmesser. Er besteht aus Schlackesteinen, die im Ergebnis eines Brandes entstanden sind und die Suche nach denen, die auf Grund ihrer zahlreichen Lufteinschlüsse schwimmfähig sind, war in der Kindheit ein beliebtes Sommerabenteuer - nach dem Übersetzen mit diversen Booten und der „Erforschung“ der Insel durch uns Knirpse…



Dass es zwei Brücken zum Festland gab, deren Überreste am Grund immer noch zu sehen sind, ist nicht so offensichtlich und erschließt sich erst auf den zweiten Blick. Sie sind Gegenstand mehrerer Grabungskampagnen im vorigen Jahrhundert, zum Beispiel unter Professor Herrman 1963-1965 und Dr. Martin Rauschert 1975. Schon damals waren die Pfahlsetzungen von großem Interesse. Es wurde ein Pfahl im Flachwasser gezogen und andere wurden zum Zwecke späterer Untersuchungen abgesägt. Interessant waren auch zwei große und bearbeitete Stammstücke einer Eiche, die vermutlich als Rammbär zur Pfahlsetzung benutzt wurden (nach Rauschert). Diese lagen noch lange danach im Flachwasser der Insel… Die Sichtweiten im Oberuckersee waren bis in die siebziger Jahre fast immer sehr schlecht. Unvergessen war der Moment, als Anfang der Siebziger das Wasser plötzlich schlagartig Sicht über mehrere Meter bot, wie es im Unteruckersee schon lange der Fall war. Plötzlich waren die Pfähle der flachen Brücke vom Boot aus sichtbar! Bedrohlich ragten sie wie spitze Zähne aus dem Seegrund. Die tiefe Brücke nach Fergitz ist auf Grund der wenigen Pfähle im flachen Wasser nicht so schnell zu finden. Faszinierend ist hier, über welch große Wassertiefe (heute 17 m) sie geschlagen wurde. Durch Vermessungen der Pfähle währen verschiedener Grabungen wurde ihr Verlauf festgestellt. Faszinierend war immer die Vorstellung, wie die damaligen Brückenbauer es ermöglichten, einen ca. 25m langen Baumstamm im Wasser aufzurichten und an die richtige Stelle zu bugsieren, um ihn dann in den Grund zu treiben. Haben sie vom Eis oder vom Floß aus gearbeitet? Wie haben sie die Kraft aufgebracht, den Auftrieb des Holzes und den Widerstand des Grundes zu überwinden? Wie tief stecken die Pfähle im Grund? Welches Holz wurde verwendet und wie alt war es? Einen Teil dieser Fragen könnte man möglicherweise beantworten, wenn man einen der stärkeren Pfähle im Bereich des tieferen Wassers aus dem Grund herausbekommen würde, um ihn näher zu untersuchen…



Es wurde ein Pfahl ausgesucht, der 1,8 m aus dem Grund aufragt und mit 25 cm Durchmesser zu den stärkeren in seinem Umfeld gehört. Das Sediment in der unmittelbaren Umgebung wurde so weit entfernt, dass der volle Stammdurchmesser auf ca. 20 cm Länge zur Verfügung stand. Der erste Versuch bestand aus einem Hebesack mit ca. 200 kg Auftrieb, der mittels einer Seilschlinge und einem geschlagenen Webleinstek am Pfahl befestigt wurde. Damit der Pfahl nicht ohne Aufsicht die Oberfläche erreichen konnte, wurde ein Auslösemechanismus ersonnen und gebaut, der nach 2-3 m zurückgelegten Weges die Luft aus dem Auftriebskörper entlässt. Der Versuch lief über mehrere Monate und war erfolglos. Als Nächstes wurde versucht, das Sediment mittels eines elektrisch angetriebenen Propellers (Scooter) wegzuspülen. Die Konsistenz des Seegrundes (Seekreide oder Ton?) lässt ein Fortspülen nicht zu. Inzwischen war klar, dass das Sediment entfernt oder wenigstens aufgelockert werden musste, weil bei der erwartungsgemäß großen Oberfläche des Pfahls und der formschlüssigen Verbindung mit dem Grund eine derart innige Verbindung entstanden war, dass bloße Zugkraft zu ihrer Trennung nicht ausreichen würde.


Ein Rohr, 1,5 m lang und 14 mm Durchmesser wurde mit einem Pressluftanschluss aus dem Tauchsportbereich versehen, um einen Luftstoß durch das Rohr in den Grund schicken zu können. Versuche an einem alten Pfahl im Flachwasserbereich (gerammt vor rund 30 Jahren) ließen sich vielversprechend an. Der Pfahl saß vor dem Spülen bombenfest und nach wenigen Druckstößen an seinen „Wurzeln“ ließ er sich mit einer Hand leicht bewegen. Doch in der Tiefe versagte die Methode. Es war viel schwerer, das doch relativ dünne Rohr ins Sediment zu drücken, der Pfahl lies sich von der Pressluft nicht beeindrucken und saß nach wie vor unverrückbar fest.



Der nächste Versuch bestand aus einem Stechrohr, mit dem das Sediment regelrecht „abgebaut“ werden sollte. Das Rohr hatte einen Durchmesser von 70 mm, war einen halben Meter lang und hatte eine dünnere Verlängerung zur besseren Handhabung. Das „ausgestanzte“ Material konnte mittels Pressluft ausgeblasen werden. Das Prinzip funktionierte, doch die notwendigerweise schnellen Armbewegungen ermüdeten den Körper unter Wasser rasch. Auch darf man nicht vergessen, dass die Arbeitszeit in 17 m Tiefe bei 4° Celsius begrenzt ist (Der Luftvorrat musste auch deshalb eingeteilt werden, weil in den ersten Jahren kein Boot zur Verfügung stand und die Schwimmstrecke von der Einstiegsstelle bis zur Tauchstelle 650 m beträgt).


Das Entfernen des Sedimentes erschien nach wie vor eine notwendige Voraussetzung zur Lockerung des Pfahls. Ein Sedimentbohrer wurde gebaut und nach ersten Tests verworfen, dann ein zweiter. Er besteht aus einem 75 mm Abwasserrohr mit angesetztem Bohrkopf. Mit diesem kann durch Drehung um die Längsachse und gleichzeitigem Druck der Grund „abgeschält“ und durch im Rohr aufsteigende Luft abgesaugt werden (Prinzip Mammutpumpe oder Airlift) Das funktionierte relativ gut, es wurden rund um den Pfahl Bohrungen bis in eine Tiefe von 1,5 m gesetzt. Allerdings ist die Handhabung aus den Handgelenken auf die Dauer auch recht anstrengend und der Pfahl saß nach wie vor fest.


Inzwischen stand ein Wassertreter zur Verfügung, von dem die Arbeiten leichter zu bewältigen waren. Motorboote sind auf dem See nur in Ausnahmefällen gestattet. Als Nächstes wurde ein Hebesack mit einem Volumen von 1000lt verwendet, auch dies ohne Erfolg. Eine nochmalige und tiefgründigere Auflockerung des Grundes wurde in Angriff genommen, dazu wurde ein ½ Zoll Wasserrohr parallel zum Pfahl bis in eine Tiefe von 3-3,5m ins Sediment getrieben. Ein 10 ltr/200 bar Druckgasbehälter wurde mit einem Ventil versehen, das ein schnelles Entleeren des Inhaltes gestattet. Mittels eines speziellen Verschlusses wurde der Behälter am Rohr befestigt und über eine Leine von der Wasseroberfläche geöffnet (vorher wurde der Hebesack gefüllt). Die Hoffnung bestand, dass die entstehende Gasblase am Fuß des Pfahls diesen zu einer Aufwärtsbewegung veranlassen würde, die, unterstützt durch den Hebesack, nicht mehr zum Stillstand kommen würde. Aber außer einer spektakulären Luftblase an der Wasseroberfläche war kein Erfolg zu verzeichnen. Der Hebesack wurde entfernt und der Versuch im nächsten Jahr vorbereitet.


Ein Rüttler schien erfolgversprechend, schließlich werden Spundwände auch unter Zuhilfenahme eines solchen gesetzt und irgendwann auch wieder gezogen. Da ein hydraulischer Rüttler aus naheliegenden Gründen nicht infrage kam, blieb nur ein elektrischer oder pneumatischer Antrieb. Die elektrische Variante wurde bevorzugt und scheiterte prompt, weil die Trägheit der Unwucht für den Motor zu hoch war, trotz einer „Anlaufschaltung“ mit Vorwiderstand brannten erst Sicherungen und dann Akkus durch. Ein pneumatischer Antrieb bietet bei katastrophal hohem Luftverbrauch nur eine Arbeitszeit von wenigen Minuten. Innerhalb dieser kurzen Zeit musste sich der Erfolg einstellen... Der Rüttler war in einem wasserdichten Rohr untergebracht, die Abluft wurde über ein Rückschlagventil und einen Schlauch in den Hebesack geleitet. Befestigt wurde er so, dass die Verbindung der Kraft der Rüttelbewegung standhalten konnte. Bei Trockentests an oberschenkelstarken Bäumen versagten selbst starke Spanngurte... Der Versuch scheiterte. Der Pfahl wurde so in Schwingung versetzt, dass die Amplitude 5-10 cm betrug. Und trotzdem reichte die Kraft des Hebesackes nicht aus, den Pfahl zu ziehen. Die Vorstellung eines Nagels in einem Gummiklotz drängte sich einem auf, der sich zwar bewegen lässt, aber noch lange nicht lockert…


Langsam wurde es Zeit für einen Erfolg. Die Bergungsversuche waren zwar ein Einzelunternehmen, doch gelegentlich fuhr jemand auf dem Wassertreter mit und hielt an der Wasseroberfläche die Stellung. Die Motivation, bei weiteren Versuchen zu unterstützen, wurde zusehends geringer und neue Ideen waren auch rar. Das zähe Sediment war das Hauptproblem. Deshalb gab es eine Neuauflage des Sedimentbohrers, nun mit pneumatischem Antrieb und auf 100 mm vergrößertem Durchmesser. Die Luftversorgung wurde über einen dünnen Schlauch von der Wasseroberfläche aus mehreren miteinander verbundenen Tauchgeräten gewährleistet. Mit der Abluft wurde in bewährter Weise der Hebesack gefüllt. Die Luft reichte für drei Löcher mit jeweils 2-3 m Bohrtiefe und einem Durchmesser von 20 cm. Damit sollte ein Großteil des festhaltenden Querschnitts abgebaut worden sein, auch wenn sich der Erfolg erstmal nicht einstellte.


Inzwischen waren zusätzliche Hebesäcke organisiert worden, die als Dreierpaket zusammengefasst und zu einem großen Bündel gerollt wurden. Mit den zusätzlichen Druckgasbehältern und Schläuchen zum Befüllen der Auftriebskörper, der Tauchausrüstung und zwei Mann Besatzung war der Wassertreter an der Grenze seiner Tragkraft. An dem Pfahl war seit geraumer Zeit eine Boje befestigt, die ca. 1 m unter der Wasseroberfläche seine Position anzeigte. Sie diente auch als Ankerpunkt für das Wasserfahrzeug. Mit Hilfe des GPS am Ziel angelangt, wurde zuerst der Wassertreter an der Boje befestigt. Die Hebesäcke wurden zu Wasser gelassen und mit Hilfe der Schläuche kontrolliert versenkt, die Tauchausrüstung angelegt und der Tauchgang konnte beginnen. Die Sicht war relativ gut, 1-2m horizontal und damit völlig ausreichend, wenn am Grund nicht zuviel Sediment aufgewühlt wurde. Da der Pfahl 1,8 m über den Grund aufragte, konnte der bewährte Webleinstek ohne Schwierigkeiten übergeworfen und ca. 30 cm unter dem Niveau des Grundes festgezogen werden. Die noch leeren Hebesäcke wurden durch ein wenig Luft in aufrechte Position gebracht, der Sitz aller Schläuche und Verbindungen überprüft, dann blieb hier unten nichts mehr zu tun…


Der Oberuckersee ist ein relativ wenig befahrenes Gewässer. Einige alteingesessene Angler haben die Genehmigung für einen Außenborder, ansonsten ziehen nur Paddel- oder Segelboote ihre Bahnen. Gelegentlich finden Regatten statt, die von einem Verein in Prenzlau organisiert werden. Auch an diesem Tag fand eine solche statt, inklusive eines Sicherungs- und Begleitbootes. Der Zufall wollte es, dass just in dem Moment, in dem die Segler in der Enge zwischen Insel und Fergitzer Lanke gegen den Südwestwind aufkreuzten, auf dem Tretboot die Ventile geöffnet wurden. Luft strömte durch die Schläuche in die Tiefe, wie schon so oft zuvor ohne sichtbares Ergebnis. Dann tauchte unvermittelt in einem Blasenschwall die kleine Boje auf, die mit dem Pfahl verbunden war. Das konnte nur bedeuten, dass sich der Pfahl auf dem Weg nach oben befand. Wenige Augenblicke später erreichten drei große Luftschwalle die Oberfläche und als sie zusammenbrachen, tauchte aus dem Blasenmeer die schwarze Spitze des ehemaligen Brückenpfeilers auf, der an dieser Stelle vor fast 1000 Jahren den Weg in die Tiefe nahm. Langsam sackte er zurück, um sich dann flach unter die Wasseroberfläche zu legen. Nach so langer Zeit der vergeblichen Versuche war es ein erhebender Anblick, selbst die just in diesem Augenblick vorbeiziehenden Segler machten große Augen! Der Pfahl schwamm noch, selbst nach so langer Zeit! Wir banden ihn längseits an den Wassertreter, den er vorn und achtern um mehr als einen Meter überragte und machten uns auf den Weg zu der Badestelle „Kahl Flach“, an dem er vorsichtig angelandet, fotografiert und grob vermessen wurde. Der im Grund steckende Teil misst rund vier Meter bei einem durchschnittlichen Umfang von ca. 70 cm. Interessant sind zwei waagerechte, mit Beil oder Axt hergestellte Einkerbungen ein Stück oberhalb des zugespitzten Endes. Sollte hier ein Gewicht befestigt worden sein, um den Pfahl bequem und sicher an seinen vorgesehenen Platz bugsieren und den ersten Meter in den Grund treiben zu können? Mittels einer noch zu rekonstruierenden Vorrichtung hätte man die Last dann ausklinken und für den nächsten Pfahl an die Oberfläche zurückholen können…



Nun gehört der Pfahl der Wissenschaft. Der Wunsch besteht, dass er (nach erfolgter Konservierung) einen Platz in der offenen Fergitzer Kirche erhält, wo er unweit seines bisherigen Standortes als Beitrag zu einer schon bestehenden, bescheidenen Ausstellung den Besuchern zur Verfügung steht und von den Fähigkeiten und Fertigkeiten unserer Vorfahren zeugen kann.


Autor: Jan Seifert


Anmerkung zur Burgwallinsel im Oberuckersee:


Die Burgwallinsel liegt im Süden des Oberuckersees bei Fergitz. Das Areal ist unbewohnt und steht unter Naturschutz. Bereits in den 1960er und 1970er Jahren fand eine unterwasserarchäologische Erforschung im Umkreis der Insel statt. Gegenstand der Forschung waren insbesondere die beiden Brückenbauwerke, die die Insel mit dem Festland verbanden. Eine Brücke verknüpfte die Burgwallinsel über eine relativ kurze Distanz mit dem etwa 400 m entfernt liegenden Fergitzer Ufer. Sie überwand eine Wassertiefe von fast 20 m. Die zweite Brücke nutzte die von der Burgwallinsel zum Nordosten ziehende Untiefe und verband den Kleinen Burgwall mit der Seehausener Klosterhalbinsel. Diese Brücke führte über etwa 2,2 km Länge quer durch den ganzen See. An den Köpfen beider Brücken, auf der Fergitzer und Seehausener (Warnitzer) Gemarkung, befanden sich slawische Siedlungen. Bei den Forschungen in den 1960er und 1970er Jahren fanden die Brücken mehr Beachtung als die Burganlage. Diese wurde im Jahre 2013 näher untersucht. Parallel zu den Ausgrabungen fanden Metallsuchprospektionen auf der Insel, Vermessungen der Wallanlage und Tauchuntersuchungen im Umfeld des Insel sowie an den beiden Brücken statt.


Literatur: Felix Biermann, „Der Burgwall von Fergitz (Uckermark) und die Inselsiedlungen der Slawenzeit im brandenburgischen Raum“ in Biermann/Heußner (Hrsg.), „Historische Gewässernutzung im nordostdeutschen Gebiet“, S. 27 ff., Habelt-Verlag, Bonn


Aktuelle Beiträge

Alle ansehen

Comments


bottom of page