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Zwischen Weißem Meer und Baikalsee

Interview mit Bernd Papenfuß


Go East – Im Sommer 1989 machte sich Bernd Papenfuß auf den Weg in den fernen Osten Russlands an den Baikalsee. Der See gilt als einer der besten Süßwasser-Tauchspots der Welt. Er ist mit 1642 Metern Tiefe der tiefste und mit über 25 Millionen Jahren der älteste Süßwassersee der Erde. Die meisten hier vorkommenden Arten sind endemisch, d.h. sie kommen ausschließlich im Baikalsee vor. Kaum aus Sibirien zurückgekehrt, ging es für ihn erneut in die Sowjetunion. Ziel war das Weiße Meer im eisigen Norden. Ich sprach mit Bernd Papenfuß über dessen erlebnisreiche Tauchreisen der Vorwendezeit.


R.B.: Über dreißig Jahre ist es her, als du die Möglichkeit hattest, an den Baikalsee zu fahren, um dort zu tauchen. Wie kam es dazu, dass dir zu DDR-Zeiten diese Reise ermöglicht wurde?

 

B.P.: Gemeinsam mit Ralf Reichert (Gera), Uwe Lippek (Saßnitz), Andre Fläming (Jena) und Peter Wisniewski (Leipzig) nahm ich an dem Unterwasserfoto-Wettkampf "Pokal Baikal 89" teil. Organisiert wurde diese Fahrt vom Taucherausbildungszentrums Ammelshain. Die Einladung kam von Sergei Glutschenkow. Insgesamt 52 Unterwasserfotografen aus der damaligen Sowjetunion, der CSSR und der DDR nahmen an dem Unterwasserfoto-Wettkampf teil.


Tauchen im Baikalsee (1989)


R.B.: Wo fand der Wettbewerb statt?

 

B.P.: Austragungsort des Fotowettbewerbs war die kleine Ortschaft Listwjanka im Süden des Baikalsees. Der Empfang war sehr herzlich. Untergebracht waren wir in einfachen Holzhütten in der Nähe des Limnologischen Instituts von Listwjanka.

 

R.B.: Musstet ihr eure Tauchausrüstung mitbringen?

 

B.P.: Das Limnologische Institut Listwjanka stellte für alle Taucher Flaschen und Blei zur Verfügung. Den Rest mussten wir selbst mitbringen, also Kameras, ABC-Ausrüstung, Atemregler und Tauchanzug. Unsere Tauchermesser mussten wir registrieren lassen. Alles sollte in einen Seesack passen. Kameras, Unterwasser-Gehäuse, Regler, Akkus und Filme verstauten wir im Handgepäck. Mein Filmbeutel beinhaltete etwa 100 Kleinbildfilme, da jeder Teilnehmer seine eigenen Filme mitbringen musste. Unsere sowjetischen Kameraden hatten bei uns Kaffee und Salami als „Gastgeschenk“ geordert. In Moskau mussten wir aufgrund des erheblichen Übergepäcks 22 Rubel nachbezahlen.


R.B.: Wie waren die Wettkampfbedingungen?

 

B.P.: Der Wettkampftermin im Juni wurde nicht zufällig gewählt. Das Wasser des Baikalsees ist zu dieser Zeit glasklar. Wir hatten Sichtweiten von über 30 bis 40 Metern. Ideale Bedingungen zum Fotografieren. Es gab wenig Wind und zeitweise schien sogar die Sonne. Selbst in den Sommermonaten beträgt die Wassertemperatur des Baikalsees nur 4 bis 5 Grad Celsius. Ich war damals der einzige, der mit einem Trockenanzug anreiste. Dies war ein unschätzbarer Vorteil. Zu anderen Zeiten des Jahres ist das Wasser noch kälter. Ein halbes Jahr ist der See mit einer meterdicken Eisschicht zugefroren. Ich war wirklich froh über meinen Poseidon-Trockenanzug.


Der eigentliche Wettbewerb dauerte drei Tage. Schiffe brachten uns jeden Tag zu einem anderen Tauchplatz. Bei allen Tauchgängen bekamen wir die für den Baikalsee typischen grünen Schwämme, Baikalgroppen und Flohkrebse zu sehen. Die Flohkrebse werden im Baikalsee um einiges größer als die gewöhnlich im Meer oder in den Seen vorkommenden Arten. Hier erreichen einige Arten eine Größe von bis zu zehn Zentimeter. Sie machen 90 % der Biomasse des Baikalsees aus. Vor allem die faustgroßen Flohkrebse, die zu Hunderten reglos am Grund oder auf den Felswänden verharrten, boten schöne Fotomotive.


Die von der Jury vorgegebenen Wettkampf-Themen lauteten: Der Taucher, Schwämme, Großaufnahme, Fische, UW-Landschaft, Der Unterwasserfotograf und sein Motiv, Krebse und ein freies Thema. Unsere Filme mussten wir vor Ort selbst entwickeln und dann die Dias rahmen bzw. die Abzüge formatfüllend und farbgetreu auf aufgehängten Fototafeln präsentieren.


R.B.: Reichte es für einen Platz auf dem Siegertreppchen?

 

B.P.: Ralf Reichert und ich fotografierten im Format 6x6. Überraschenderweise gab es vor Ort keine 6x6 Projektoren. Damit hatte niemand von uns gerechnet. Unsere Fotos konnten nicht gezeigt werden und kamen daher nicht in die Wertung. Das war schon ärgerlich. Die anderen Taucher aus der DDR erreichten in den einzelnen Themenkategorien einen 1. Platz, zwei 2. Plätze und einen 3. Platz. Das reichte zum Gesamtsieg und Gewinn des Pokals Baikal 89.


Siegerehrung


R.B.: Herzlichen Glückwunsch nachträglich. Kaum vom Baikalsee zurückgekehrt, ging es wieder für dich in die Sowjetunion. Wie kam es dazu?

 

B.P.: Im August 1989 reiste ich mit Dr. Hans Pellmann und Dr. Klaus Bauernfeind aus Leipzig ans Weiße Meer. Es sollte ein Buch über diese einzigartige Region im äußersten Norden der Sowjetunion entstehen. Ich war als Unterwasserfotograf angeheuert.

 

R.B.: Das hört sich abenteuerlich an. Das Gebiet ist touristisch ja noch weitgehend unerschlossen. Wie seid ihr da hingekommen?

 

B.P.: Von Berlin fuhren wir mit der Bahn nach Leningrad, wo wir uns mit unserem russischen Begleiter Ivan trafen. Von Leningrad ging es dann etwa 900 km Richtung Norden nach Tschupa (Chupa) an der Westküste des Weißen Meeres.

Meine Ausrüstung hatte ich in zwei selbstgebauten Alu-Kisten verstaut. Selbst unsere Verpflegung mussten wir mitbringen. So machten sich dutzende Konservendosen auf eine lange Reise an den Polarkreis. In der ersten Kiste befanden sich meine beiden Unterwasser-Kameragehäuse, Akkus, Ladegeräte, Filme und Werkzeug. In der zweiten Kiste waren Konserven, Alkohol und meine persönlichen Sachen untergebracht. Die Tauchsachen verstaute ich in einem Seesack. Mein Gepäck wog 75 kg! Ich transportierte alles auf einer selbstgebauten Sackkarre. Wir drängten uns zu viert mit unserem Gepäck in ein Schlafwagenabteil. Alles war recht spartanisch und das Fenster ließ sich nicht öffnen.


In dem Wagon gab es ein Abteil, aus dem eine nette, ältere Frau Tee aus einem Samowar reichte. Die Bahnfahrt führte vorbei an schier unendlichen Wäldern. Manchmal fuhr der Zug so langsam, dass man nebenherlaufen und Blumen pflücken konnte. Ivan erzählte allerlei Geschichten. Hans sprach glücklicherweise fließend Russisch und übersetzte.

Nach knapp 24 Stunden erreichten wir Chupa. Dort wurden wir mit zwei kleinen Booten abgeholt und es ging entlang der Kandalakscha-Bucht zur Meeresbiologischen Station der Leningrader Universität auf der Insel Sredni. Auf halber Strecke fiel mitten in der Wildnis ein Bootsmotor aus. Mit dem einen funktionstüchtigen Boot wurden Hans, Klaus und Ivan zur Station gebracht. Mich ließ man mit dem Gepäck im anderen Boot zurück. Es war schon etwas unheimlich ganz allein mitten im Nirgendwo vor Anker zu liegen und nicht zu wissen, wann bzw. ob ich überhaupt abgeholt werde. Überall war nur unberührte Natur. Du kannst dir nicht vorstellen, wie langsam die Zeit vergehen kann. Die zwei Stunden bis man mich abholte kamen mir wie eine Ewigkeit vor.

Als ich dann endlich die Station erreichte, bekam ich einen Riesenschreck. Es war gerade Ebbe. Überall altes Holz, verrostete Boote und Müll ohne Ende. Wir wohnten in einer einfachen Holzhütte ohne fließendes Wasser. Ein Problem war auch die Stromversorgung. Immer wieder fiel der Generator aus, meistens dann, wenn der Kompressor lief. Die Wege bestanden aus Holzplanken. Alles war sehr spartanisch, aber es war Abenteuer pur.


Taucherlager am Weißen Meer



Wir wohnten zusammen mit den Studenten in einem Haus und wurden teilweise mit warmen Essen versorgt. Wir Deutsche waren für das Feuerholzsammeln zuständig. Das Holz lag zwar überall herum, musste aber kleingehackt werden. Auch das Fischwasser mussten wir unten vom See holen. Dafür für gab´s dann Kohlsuppe, Kohlsuppe und nochmals Kohlsuppe. Jede Menge Weißkohl war vorhanden. Glückweise hatten wir für uns ein paar Konserven aus der Heimat mitgebracht.

 

R.B.: Wie sieht es im Weißen Meer unter der Wasseroberfläche aus?

 

B.P.: Ich traf auf eine interessante Unterwasserwelt mit Seetang, Meeresschnecken, Quallen, Seeigeln, Seesternen, Schlangensternen und riesige Aktinien.


Aktine im Weißen Meer


Ich erinnere mich auch noch gut daran, wie auf einmal der massige Kopf eines Seewolfs vor mir auftauchte. Glücklicherweise haben die Russen ihn nicht gesehen. Andernfalls wäre er mit Sicherheit im Kochtopf gelandet.

Einmal fuhren wir zu einer anderen Insel. Der Chef der Taucher zeigte mir eine Höhle in 45 Meter Tiefe, wo es Fische gab, die mit dem Bauch entlang der Höhlendecke schwammen. Je tiefer ich tauchte, desto kälter wurde es. Glücklicherweise hatte ich meinen Poseidon-Trockentauchanzug. Die Russen tauchten mit Nassanzügen und Unterwäsche, ganz ohne Tariermittel. Während ich mit dem Anzug tarieren konnte, war es für meine russischen Begleiter deutlich beschwerlicher. Ohne Fotoausrüstung, nur mit Scheinwerfer, tauchte ich in die Höhle. Im Lichtkegel zeigten sich an der Höhlenwand herrliche Seesterne und auch weiße Kaltwasserkorallen! Das Tauchen im Weißen Meer war schon sehr beeindruckend.



Schlangenstern


R.B.: Was ist aus dem Buch geworden?

 

B.P.: Leider konnte das Buchprojekt aufgrund der Wende nicht mehr realisiert werden. Geblieben sind aber schöne Erinnerungen.

 

R.B.: Woran erinnerst du dich besonders gern?

 

B.P.: Ich habe viele tolle Eindrücke von beiden Reisen mitgenommen. Gern erinnere ich mich an die Ruhe und den Nebel, der morgens über dem Baikalsee und der Angara lag. Natürlich hat mich auch die Tier- und Pflanzenwelt dieser entlegenen Regionen sehr beeindruckt. Was ich aber als Wichtigstes von den Reisen mit nach Hause genommen habe, war die Herzlichkeit der Menschen und die Kameradschaft, die zwischen uns Tauchern herrschte.

 

R.B.: Danke Bernd, dass du uns auf die kleine Zeitreise mitgenommen hast.


Bernd Papenfuß (links) und Roger Blum (rechts)


Quelle: Roger Blum/Steven Blum: Schwerelose Zeiten - Tauchererinnerungen, Berlin (2020)



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