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AutorenbildRoger Blum

Port Baikal: Tauchen an der vergessenen Stadt

Vor mir liegt der Baikalsee, der der größte Süßwassersee der Erde. Mit 1642 Metern Tiefe ist er der tiefste und mit über 25 Millionen Jahren der älteste Süßwassersee der Erde. Der See besitzt eine einzigartige Flora und Fauna. Von den etwa 2.500 hier vorkommenden Tier- und Pflanzenarten sollen etwa 2/3 endemisch sein, d.h. ausschließlich im und um den Baikalsee vorkommen. Diese wollten wir in den nächsten Tagen kennenlernen. Nur wenige Seen der Erde können eine so hohe Artenvielfalt aufweisen.


Blick auf den Baikalsee


Den ersten endemischen Fisch lernten wir bereits am Tag unserer Ankunft kennen. Igor, bei dem wir wohnten, servierte uns eine Suppe, in der ein halber Fisch schwamm. „Die Suppe guckt mich an“, meinte mein Tauchpartner. „Omul“ erwiderte Igor. Der Baikal-Omur (Coregonus migratorius) kommt ausschließlich im Baikalsee und den angeschlossenen Gewässern sowie im mongolischen Chöwsgöl Nuur vor…und in unserer Suppe. Er ist ein wichtiger Speisefisch der Region.



Ziel des heutigen Tages war ein Tauchausflug nach Port Baikal. Der kleine Ort war einst Start- oder Endpunkt der alten Baikalbahn. Die Zugstrecke nach Irkutsk wurde 1898 eingeweiht. Sie war Durchgangsstation der Transsibirischen Eisenbahn. Im April 1900 begann der reguläre Fährbetrieb von Port Baikal nach Mysowsk (heute Babuschkin) am Ostufer. Die Eisbrecher-Passagierschiffe „Baikal“ und „Angara“ beförderten den ganzen Transsib-Zug samt Fahrgästen und Ladung über den See. Dann folgte 1905 noch die Verlängerung der Bahnstrecke um die Südspitze des Sees nach Mysowsk und Ulan-Ude.


Port Baikal


Die todgeweihte Stadt


Heute ist Port Baikal ein fast verlassener Ort. Die alte Bahnstrecke bis Kilometer 70 liegt unter Wasser, seit die Angara in Irkutsk angestaut wird. Durch den Bau des Irkutsker Angara-Staudamms in den 1950iger Jahren stieg der Wasserspiegel so hoch, dass dieser Teil der Bahnlinie am Ufer der Angara überflutet wurde und auf die heutige Strecke über die Berge weiter im Westen verlegt werden musste. Seitdem verlor die Stadt an Bedeutung. Zuerst wurden die Fährverbindungen über den Baikalsee eingestellt, danach die neue Transsib-Verbindung von Irkutsk nach Sludjanka eingeweiht und 1961 eine asphaltierte Straße nach Listwjanka auf der gegenüberliegenden Flussseite gebaut. Die Straße wurde angeblich wegen eines geplanten Treffens zwischen Chrustschow und Eisenhower gebaut. Aufgrund des Abschusses eines amerikanischen Spionageflugzeuges über dem Ural, fand dieser Besuch jedoch nicht statt. Port Baikal ist heute ein verlassener, melancholischer Ort. Man nennt Port Baikal auch die todgeweihte Stadt.


Zarengold – Der Schatz des Admiral Koltschak


Doch um Port Baikal ranken sich viele Legenden und Geschichten. Unter anderem erzählt man sich hier die Geschichte vom versunkenen Goldschatz des zarentreuen Admirals Koltschak. Im November 1918 rekrutierte der russische Admiral Alexander Wassiljewitsch Koltschak als Kriegs- und Marineminister der „Sibirischen Regierung“ eine schlagkräftige Armee und leitete mit finanzieller Unterstützung aus Großbritannien und Frankreich den Kampf gegen die Rote Armee in Sibirien. Die Koltschak-Armee drang bis Kasan und über die Wolga vor. Seine Truppe erbeutete angeblich 148 Tonnen des Zarengoldes. Durch ein Doppelspiel der Entente, die unhaltbar lange Front und politische Intrigen erlitt seine Armee aber bei Samara eine entscheidende Niederlage gegen die Rote Armee und der Admiral musste im November 1919 sein Hauptquartier in Omsk räumen. Koltschak zog sich mit seiner Armee und etwa 200.000 Zivilisten nach Osten bis nach Irkutsk zurück. In dieser Zeit soll ein Wagon, auf dem das Gold transportiert wurde, am Ufer des Baikalsees an einer Böschung entgleist und in die Tiefe gerissen worden sein. Seither wird hier nach dem Gold des Admirals gesucht. Koltschak selbst wurde am 7. Februar 1920 von den Bolschewiki in Irkutsk gefangen genommen und erschossen. Sein Leichnam wurde in einem Eisloch in der Angara versenkt. Mit dieser Schatzgeschichte im Gepäck machte ich mich auf dem Weg von Nikola am Ostufer der Angara nach Port Baikal.


Anreise über die Angara


Bei unserer Ausfahrt lag noch etwas Nebel über dem Fluss. Port Baikal befindet sich am Baikalsee an der Flussmündung auf der gegenüberliegenden Seite der Angara. Von hier hatte ich einen schönen Blick nach Listwjanka. Ich sah die alte Bahnstrecke und den Bahnhof. Ist hier vielleicht irgendwo der Zug des Admirals Koltschak entgleist?


Im Jahre 2010 hatten einige Zeitschriften berichtet, dass Teile eines Zuges und Kisten nahe Kap Tolstoi etwa 15 km von Port Baikal entfernt gefunden wurden. Die Gerüchte um das verschollene Zarengold lebten wieder auf. Unser Tauchguide Andrej erzählte mit einem Augenzwinkern, dass er die Stelle kenne, wo das Gold liegt. Ab und zu tauche er hinab und hole ein Barren rauf. Das reiche ihm für eine Weile. Wir lachten.


Stillgelegte Bahnstrecke nach Irkutsk und Sonderzug „Zarengold“


Kurz vor dem 100-jährigen Jubiläum erinnerte sich die russische Eisenbahn wieder an die vergessene Strecke und mittlerweile verkehren von Dampfloks gezogenen Sonderzüge auf der Strecke. So soll ein Teil der Kosten für die Ausbesserungsarbeiten der unter Denkmalsschutz gestellten Strecke erwirtschaftet werden. Auch der Sonderzug „Zarengold“ befährt diese historische Strecke.


Nerpa ! Baikalrobben


Kolja und Aljosha, die jüngsten Söhne unseres Tauchguides Andrej, zeigten aufs Wasser und riefen: „Nerpa“! Nur wenige Meter neben unserem Boot sah ich dann meine erste Baikalrobbe (Pusa sibirica, Syn.: Phoca sibirica). Ihr russischer Name lautet: Baikalskaja Nerpa. Neugierig streckte die Robbe ihren Kopf aus dem Wasser und beobachte uns. Der verhältnismäßig große Kopf und die großen Augen verleihen der Robbe ein niedliches Aussehen.


Baikalrobbe vor Port Baikal


Baikalrobben sind eine endemische Art des Baikalsees und die einzigen Robben, die ausschließlich im Süßwasser leben. Sie wird maximal 140 cm lang und gehört damit zu den kleineren Robbenarten. Als kleines Kind hatte ich sie im Tierpark Berlin gesehen und ein paar Tage zuvor im Baikal-Museum in Listwjanka. Es war ein tolles Gefühl die Tiere nun in ihrem natürlichen Umfeld anzutreffen.


Groppen, Flohkrebse und ein Drop-Off: Tauchen in Port Baikal


Unterwasser eröffnete sich mir eine einzigartige Welt. Unmittelbar vor der Pier lag allerlei Zivilisationsmüll aus vergangenen Zeiten. Teile der Hafenbefestigung sind ins Wasser gerutscht und bieten heute Unterschlupf für Baikalgroppen, Schnecken und Flohkrebsen.



Die Baikalgroppen sind meist etwa 10 cm lang. Sie haben einen dicken, breiten Kopf mit einem großen Maul und einen sich nach hinten bis zur Schwanzflosse verjüngenden Körper. Die Brustflossen sind groß. Es scheint, dass sie sich auf ihnen abstützen. Die meisten Groppen des Baikalsees sind endemisch.



Baikalgroppe


Die Baikalgroppen ernähren sich von den zahlreichen Flohkrebsen. Diese sind hier zwar nicht so zahlreich wie vor Listwjanka (dort bewegt sich scheinbar der gesamte Boden aufgrund von dicht an dicht sitzender Flohkrebse).


Flohkrebs Acanthogammus victorii


Über 200 Arten Flohkrebse leben im Baikalsee, wovon die meisten ebenfalls endemisch sind. Die Flohkrebse machen 90 % der Biomasse des Baikalsees aus. Vor allem kleinere, etwa 2-3 cm lange Gammus-Arten sind zu Tausenden anzutreffen, aber auch faustgroße Arten wie Acanthogammus victorii. Sie fressen organische Überreste von toten Tieren und Pflanzen. Man sagt, dass eine menschliche Leiche innerhalb von sieben Tagen gefunden werden muss, da danach alles vertilgt ist.


Flohkrebse suchten wir im See und unter dem Mikroskop


Gute Sichtweiten von mehr als 15 Meter und ein herrliches Drop Off bescherten mir einen weiteren herrlichen Tauchgang. Zunächst tauchten wir etwa 50 Meter weit über einen 3 bis 5 Meter tiefen, flach abfallenden Bereich, der dicht mit grünen Algen und Pflanzen bewachsen ist.


Tauchgang am Drop Off vor Port Baikal


Dann erreichten wir die Abbruchkante. Ich schwamm entlang einer steil abfallenden Felswand, die mit den für den Baikalsee typischen grünen Schwämmen besetzt war. Die Schwämme wachsen in den unterschiedlichsten Formen und sich teilweise stark verästelt. Interessant waren auch die vielen kleinen Schnecken, die an kleine Fäden an den Felswänden hingen. Bei den „hängenden Schnecken“ handelte sich um Baicalia turriformis.


Hängende Schnecken Baicalia turriformis


Nach knapp 40 Minuten unter Wasser zwang mich die in meinen Trocki eindringende Kälte zum Auftauchen. Der Baikalsee ist ganzjährig kalt. Die Wassertemperatur betrug selbst im oberflächennahen Bereich nur 4 bis maximal 5 Grad Celsius, und das mitten im Juli. Trockenanzug und Kaltwasserautomaten sind hier also Grundvoraussetzung. Im November friert der See dann für ein halbes Jahr wieder komplett zu. Auch wenn Port Baikal die vergessene Stadt ist, so werde ich die Tauchgänge hier nicht vergessen.

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