Gemeinsam mit vier weiteren Tauchern des Tauchsportklubs Adlershof machte ich mich im Sommer 2018 auf den Weg zum Baikalsee im Osten Russlands. Er gilt als einer der besten Süßwasser-Tauchspots der Welt. Uns wurde von hervorragenden Sichtweiten, tollen Drop Offs und einer einzigartigen Tier- und Pflanzenwelt berichtet. Etwa 2/3 der Tierarten sollen endemisch sein, also nur am und im Baikalsee vorkommen. Gemessen an dieser Aussage wird klar, welche Erwartungshaltung wir von unserer Tauchreise nach Sibirien hatten. Da die Reiseveranstalter zu hohe Preise verlangten, hatten wir unsere Reise individuell organisiert. Wir buchten einen Flug bei Aeroflot und Bekannte vermittelten uns den Kontakt zu Igor und Olga, die eine kleine Pension in der Nähe des Sees betreiben.
Nach einem kurzen Zwischenstopp in Moskau und einem knapp sechsstündigen Weiterflug kamen wir in Irkutsk an. Igor erwartete uns am Flughafen. Wir hatten so viel Tauchgepäck und Fotoausrüstung mitgenommen, dass es selbst in seinem Minivan ziemlich eng wurde. Irkutsk ist die Hauptstadt der Region. Von hier waren es nur noch 70 km bis zum Baikalsee. Zunächst hielten wir an verschiedenen Banken, um unsere Reisekasse mit Rubel zu füllen, denn die Ausgabemengen in Russland sind begrenzt und viele Geldautomaten nicht gefüllt.
Ankunft und Quartier in Nikola
Zwei Stunden später bezogen wir unser Quartier in Nikola, einer kleinen Ortschaft an der Angara. Von unserer auf einer kleinen Anhöhe gelegenen Pension konnten wir bei gutem Wetter bis zum Baikalsee blicken, doch Nebel und Nieselregen versperrten uns am Ankunftstag die Sicht. Dies konnte unsere Reisestimmung aber nicht trüben. Wir stießen erst einmal mit einem Baikal-Wodka auf unsere Ankunft an und Igor servierte das Abendbrot. „Die Suppe guckt mich an“, meinte mein Tauchpartner. „Omul“ erwiderte Igor. Der Baikal-Omur kommt ausschließlich im Baikalsee vor…und in unserer Suppe. So lernten wir den ersten endemischen Fisch bereits am Tag unserer Ankunft kennen ohne dass wir den See überhaupt gesehen haben.
Am Abend lernten wir auch unseren Tauchguide Andrej kennen. Ein freundlicher Kumpeltyp. Er ist Ausbilder beim russischen Katastrophenschutz (MTschS Russia = Ministerium der Russischen Förderation für Zivilverteidigung, außerordentliche Situationen und Beseitigung der Folgen von Naturkatastrophen), zuständig für Rettungseinsätze zu Land, zu Wasser und in der Luft. Der Stützpunkt war in einer riesigen Traglufthalle untergebracht. Das Areal erinnerte mich ein wenig an eine Kaserne. Andrej führte uns durch die Halle. Sie beherbergte neben einem Schwimmbad und einer Kletterwand auch zwei Tauchtürme, Ausbildungsräume, Tauchbecken und zwei moderne Dekokammern. Alles war topgepflegt und modern.
Unser Tauchstützpunkt befand sich in der Basis des Katastrophenschutzministeriums
Am Morgen verstauten wir unsere Anzüge, Flaschen, Blei und fuhren weiter nach Listwjanka. Endlich lag er vor uns - der Baikalsee, der der größte Süßwassersee der Erde. Mit 1642 Metern Tiefe ist er der tiefste und mit über 25 Millionen Jahren der älteste Süßwassersee der Erde. In Listwjanka standen uns zahlreiche Tauchplätze zur Verfügung. Hier konnten wir problemlos vom Ufer aus tauchen. Entlang der Promenade gibt es viele kleine Kiesstrände, die wir Einstiegsstelle nutzen konnten.
Den ersten Tauchgang unternahmen wir an einer Art Ankerfriedhof. Der Einstieg ist über eine ehemalige Slip-Anlage zu erreichen. Auch wenn es Hochsommer war, so war das Wasser eiskalt. Nur 4 Grad Wassertemperatur zeigte mein Tauchcomputer an. Ein Trockenanzug und Kaltwasserautomaten sind Grundvoraussetzung. Nach etwa 100 Metern erreichten wir das Wrack eines kleinen Patrouillenboots. Deutlich zu erkennen war die Bewaffnung auf dem Bug. Dann tauchten wir entlang mehrerer mannshoher Anker, die hier dicht an dicht nebeneinander lagen.
Ankerfriedhof vor Listwjanka und Wrack eines Patrouillenbootes
Am nächsten Tag unternahmen wir zwei Tauchgänge in der Nähe des Flusses Krestovka. Wir schwammen entlang der Felswand und bekamen die für den Baikalsee typischen grünen Schwämme, Baikalgroppen und Flohkrebse zu sehen, von denen die meisten Arten endemisch sind. Sie machen 90 % der Biomasse des Baikalsees aus. Ich hatte gelesen, dass die Flohkrebse gleich im Schwarm über Kadaver von Fischen und Vögeln herfallen und innerhalb von wenigen Tagen selbst ein Schwein bis auf die Knochen abnagen. Man sagt, dass eine menschliche Leiche innerhalb von sieben Tagen gefunden werden muss, da danach alles vertilgt ist. Vor allem die faustgroßen Gammarus-Flohkrebse Anthogammus victorii, die zu Hunderten reglos am Grund oder auf den Felswänden verharrten, boten immer wieder schöne Fotomotive.
Riesenflohkrebs Anthogammus victorii
Nach dem Tauchgang mussten wir Andrej´s Lada aus einer festgefahrenen Situation befreien.
Bevor wir zurück in unsere Pension fuhren, besuchten wir in Listwjanka das Limnologische Museum, ein Naturkundemuseum der Russischen Akademie der Wissenschaften. In dem kleinen Museum konnten wir mehr über die Geschichte des Baikalsees und seine einzigartige Tier- und Pflanzenwelt erfahren. Wir unternahmen in einem simulierten Mini-U-Boot eine Tauchfahrt auf den Grund des Sees und konnten unterm Mikroskop kleine Flohkrebsarten beobachten.
Im Limnologischen Museum Listwjanka
Am folgenden Tag organisierte Andrej einen Bootsausflug nach Port Baikal. Mit an Bord waren auch stets Igor, der für unser leibliches Wohl sorgte, und Andrej´s Frau Sasha sowie seine drei Kinder. Vom Stützpunkt fuhren wir mit einem Boot des Katastrophenschutzes zunächst entlang der noch nebelverhangenen Angara vorbei am Schamanenstein hinaus auf den See. Dieser Stein ragt bei Listwjanka aus dem Wasser des Baikalsees und markiert die Grenze zwischen Baikalsee und Angara.
Ausfahrt Richtung Port Baikal
Um Port Baikal ranken sich viele Legenden und Geschichten. Unter anderem erzählt man sich hier die Geschichte vom versunkenen Goldschatz des zarentreuen Admirals Koltschak. Seine Truppe erbeutete angeblich mehrere Tonnen des Zarengoldes. Ein Zug, auf dem das Gold transportiert wurde, soll am Ufer des Baikalsees an einer Böschung entgleist und in die Tiefe gerissen worden sein. Seither wird nach dem Gold des Admirals gesucht. Andrej erzählte mit einem Augenzwinkern, dass er die Stelle kenne, wo das Gold liegt. Ab und zu tauche er hinab und hole ein Barren rauf. Das reiche ihm für eine Weile. Wir lachten. Eine alte auf dem Seegrund gefundene Flasche aus der Revolutionszeit schenkte uns Andrej am letzten Abend als Erinnerungsstück für unser Tauchermuseum.
Der Sonderzug „Zarengold“
Nur wenige Meter neben unserem Boot sah ich meine erste Baikalrobbe. Der verhältnismäßig große Kopf und die großen Augen verleihen dieser Robbenart ein niedliches Aussehen. Baikalrobben sind eine endemische Art des Baikalsees und die einzigen Robben, die ausschließlich im Süßwasser leben. Bei unseren nächsten Ausflügen sollten wir immer wieder Baikalrobben zu Gesicht bekommen. Neugierig streckten sie ihren Kopf aus dem Wasser und beobachten uns. Leider hatten wir nicht das Glück die Tiere auch unter Wasser beobachten zu können.
Baikalrobbe (Pusa sibirica)
Unmittelbar vor der Pier von Port Baikal (GPS: 51,8696678° N, 104,8441790° O) lag allerlei Zivilisationsmüll aus vergangenen Zeiten. Teile der Hafenbefestigung sind ins Wasser gerutscht und bieten heute Unterschlupf für Baikalgroppen, Schnecken und Flohkrebsen. Wir schwammen dann entlang einer steil abfallenden Felswand, die mit den für den Baikalsee typischen grünen Schwämmen besetzt war. Nach knapp 40 Minuten unter Wasser zwang mich die in meinen Trocki eindringende Kälte (und ein kleines Leck im Anzug) zum Auftauchen.
Unterwasser vor Port Baikal
Abends feierten wir Dieters Geburtstag. Olga hatte einen Kuchen gebacken, Nastasia , Olga und Igors Tochter, brachte Champagner aus Irkutsk mit und unsere Gastgeber hatten den Raum mit Girlanden und Kerzen geschmückt. Abends kamen auch Andrej und Sasha vorbei. Alles war – wie immer – sehr herzlich und stets mit einem „Pajechali“ wurden immer wieder kleine Wodka- und Whiskygläser geleert.
Ein weiterer interessanter Ausflug führte uns nach Talzy ans Ufer der Angara (GPS: 51,9894584°N, 104,6671018° O). Das kleine Dorf auf halber Strecke zwischen Listwjanka und Irkutsk befindet sich in einen dichten Birkenwald. Hier erkundeten wir die Überreste eines versunkenen Dorfes. Ein paar Steine und ab und zu ein Topf oder eine Flasche zeugten davon, dass sich hier einst ein kleines Dorf befunden hat. Das Fehlen von Mauerresten ist schon dadurch zu erklären, dass in Sibirien die Häuser typischerweise aus Holzbohlen errichtet und nicht gemauert sind.
Blick auf die Angara
Auch die folgenden Tage verbrachten wir natürlich mit Tauchen. In Höhe des Hotels „Y Ocepa“ (GPS: 51,8642539° N, 104,8441790° O), russ. „Unser See“, befindet sich ein kleiner Strandbereich, der über eine verkommene, stark sanierungsbedürftige Treppe zu erreichen ist. Auf etwa 16 Meter Tiefe liegt hier das Wrack eines Schigulis. Der Fahrzeugtyp des sowjetischen Automobilherstellers AwtoWAS war ein Lizenznachbau des Fiat 124 und machte in den 1970iger Jahren etwa die Hälfte der Autoproduktion der Sowjetunion aus. Wie das Auto auf den Seegrund gelangt ist, konnten wir nicht ergründen. Möglicherweise wurde es auf dem Eis geparkt ist bei Tauwetter versunken. Vielleicht wurde es aber auch speziell für Taucher versenkt.
Am Schiguli-Wrack
Aqua Eco (GPS: 51,8535041° N, 104,8636212° O) ist ein weiterer interessanter Tauchplatz in Listwjanka. Man sieht hier die Überreste einer alten Holzpier. Die Anlage wurde durch den Anstieg des Wasserspiegels nach dem Anstauen der Angara in den 1950iger Jahren zerstört. Der Tauchplatz befindet sich direkt neben der am Ufer entlangführenden Hauptstraße von Listwjanka. Der steinige Strandanschnitt ist so klein, dass wir uns auf der gegenüberliegenden Straßenseite an einer alten Häuserruine umzogen und dann in voller Tauchermontur die Straße überquerten. Eine kleine rostige Treppe führt dann von der Uferpromenade zum Wasser.
Am Tauchplatz Aqua Eco
Zunächst tauchten wir etwa 60 bis 80 Meter weit über ein 3 bis 5 Meter tiefen, flach abfallenden sandigen Bereich, der dicht mit grünen Algen und Pflanzen bewachsen ist. Hier lagen einige große Steine und Holzstämme, die Unterschlupf für Baikalgroppen boten. Auffällig ist ihr dicker, breiter Kopf mit großem Maul und der sich keulenartig nach hinten bis zur Schwanzflosse verjüngende Körper. Die meisten Arten sind endemisch, kommen also nur in der Region um den Baikalsee und seinen angrenzenden Flüssen vor.
Baikalgroppe
Dann erreichten wir die Abbruchkante. Der Bereich fällt steil auf über 30 Meter Tiefe ab. Die Sichtweite war sehr gut, mindestens 20 Meter.
Tauchgang am Drop Off vor Port Baikal
Der Felsbereich wurde durch einen großen sandigen Hang unterbrochen. Überall lagen dicht an dicht große Baumstämme, die offensichtlich Teil der ehemaligen Pier waren. Die Stämme sind scheinbar den Hang heruntergerutscht. Im 10-Meter-Bereich sah ich drei noch guterhaltene und dicht mit Algen und Pflanzen bewachsene viereckige Holzbohlenbegrenzungen, die innen vollständig mit Geröll aufgefüllt waren. Es könnte sich hierbei um kleine der ehemaligen Holzpier vorgelagerte Bauten handeln, an denen die Schiffe seeseits befestigt wurden. Ähnliche noch erhaltene Konstruktionen hatten wir bereits bei unseren Bootsausfahrten an anderen Stellen des Baikalsees gesehen. Das Austauchen im Flachbereich bot die Möglichkeit die Vielzahl kleinerer Lebewesen zu beobachten. Kleine Groppen huschten über den Sand oder versteckten sich an den algenbewachsenen Steinen. Die Algen wurden von Schnecken abgeweidet. Ein Paradies für Makrofotografen.
Am alten Holzpier
Der letzte Ausflug der Reise führte uns zum Kap Säbel. Wir fuhren mit dem Boot mehrere Stunden Richtung Norden entlang des schroffen, dicht mit Nadelwald bewachsenen Westufer des Sees. Die Sichtweite und die Vielfalt der Schwämme war überwältigend. Die „wachsen“ in den unterschiedlichsten Formen und besiedeln die Felsenriffe und Drop-Offs des Sees. Teilweise bilden sich korallenähnliche Säulengebilde, die bis zu einem Meter Höhe erreichen können. An manchen Tauchplätzen wie hier am Kap Säbel waren die Schwämme so zahlreich, dass mich die Szenerie ein wenig an ein Korallenriff erinnerte. Nur dass die Wassertemperatur hier am Baikalsee gerade einmal 4 bis 5 Grad Celius betrug.
Tauchen am Kap Säbel
Abends grillte Igor Fisch und wir nutzten die Banja um uns wieder aufzuwärmen. Igor hatte während unserer Tauchgänge allerlei Holz und Steine gesammelt und aus den Fundstücken ein kleines Kunstwerk als Erinnerung gefertigt. Der Abschied war sehr herzlich und wir versprachen, den Kontakt nicht abreißen zu lassen. Hoffentlich sehen wir uns einmal wieder. Als Fazit ist festzuhalten: Es war eine tolle Reise. Wir entdeckten nicht nur die interessante Unterwasserwelt des Baikalsees, sondern lernten auch viele nette Menschen kennen. Wir kamen als Gäste und gingen als Freunde.
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