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Der Erfinder - Interview mit Gerhard Steinert

Gerhard Steinert (geb. 1934 in Berlin) gehört zu den Pionieren der ostdeutschen Taucherszene. Von 1950 bis 1953 absolvierte er eine Feinmechaniker-Lehre im RFT Funkwerk Köpenick. In dieser Zeit begann er mit der Konstruktion und dem Bau eigener Tauchgeräte und Kameragehäuse. Als Feinmechaniker-Meister entwickelte und verwirklichte er viele gute technische Ideen und baute Regler und Kameragehäuse von höchster Präzision. Er arbeitete zunächst an der Humboldt-Universität, dann bei der Messgerätebau Dr. G. Lange KG und schließlich als Spezialtechniker im VEB Studiotechnik des Deutschen Fernsehfunks in Berlin-Adlershof (1962 – 1982) und als Forschungsmechaniker an der Akademie der Wissenschaft der DDR (1982 – 1991). Seine Begeisterung für die Unterwasserwelt und die Entwicklung technischer Geräte ließ ihn nie los. Gerhard Steinert hat seine Erlebnisse aus den Anfangsjahren des Sporttauchens in seinem Buch "Immer auf der Suche - Erinnerungen" niedergeschrieben.


Gerhard Steinert im selbstgeschneiderten Tauchanzug

 

R.B.: Lieber Gerhard, bitte erzähl uns, wie deine Leidenschaft fürs Tauchen geweckt wurde.

 

G.S.: Als Jugendlicher hatte ich das Buch „Unter Korallen und Haien“ von Hans Hass gelesen. Das fesselte mich so sehr, dass ich es gleich zweimal hintereinander gelesen habe. Das war 1949. Als ich dann noch einen Artikel in der „Neuen Berliner Illustrierten“ über die Unterwasserjagd mit Schwimmflossen und Harpune las, wollte ich das auch tun. Da es bei uns weder Schwimmflossen noch Taucherbrillen gab, versuchte ich eine Tauchermaske aus einer Blechbüchse mit eingekitteter Scheibe und Flossen aus Sperrholz zu bauen. Wie du dir vorstellen kannst, war das Ergebnis eher ernüchternd. So richtig los ging es erst im Sommer 1950.

 

R.B.: Was genau war 1950?

 

G.S.: Bei einem Schulausflug an den Heinitzsee im Sommer 1950 beobachtete ich einen Mann, der sich eine Maske aus einer runden Glasscheibe und einem Autoschlauch gebaut hatte. Das war eine verblüffend einfache Lösung, die ich gleich umsetze. Ein paar Monate später kaufte ich mir in West-Berlin, im Sportgeschäft „Ski Hütte“ am Ku´damm, meine ersten Hans-Hass-Flossen der Firma Semperit. Maske und Flossen testete ich im Schwimmbad Hubertusbad in Lichtenberg. Ich bin extra in die Schwimmsektion der Betriebssportgemeinschaft des RFT-Funkwerk Köpenick eingetreten. Tauchvereine gab es damals ja noch nicht. Dort lernte ich im Winter 1950 Helmut Keßner kennen. Er war ursprünglich Rennradfahrer und dann Schwimmer. Mit Helmut verband mich eine enge Freundschaft. Wir unternahmen gemeinsam im Schwimmbad unsere Tauchübungen. Das erregte natürlich Aufsehen und das Tauchen wurde uns verboten. Die Schwimmmeister befürchteten eine Störung des Schwimmbetriebs und die Funktionäre der Sektion eine Verwässerung des Schwimmens. Damit endete unsere Mitgliedschaft.

 

R.B.: Es ist schon Ironie des Schicksals, dass Helmut Keßner später die erste in der DDR industriell gefertigte Schwimmflosse entwickelte und die Fachleute der Deutschen Hochschule für Körperkultur Leipzig erklärten, dass sich die Keßner-Flossen hervorragend für das Training der Kraulschwimmer eignet, da sie besonders beanspruchte Muskelpartien schnell kräftigen helfen. Dieser Meinung schlossen sich auch Vertreter des Instituts für Körpererziehung der Karl-Marx-Universität Leipzig an.

 

G.S: Ja, daraufhin begann die Degufa (Anm.: VEB Gummiwerke Berlin-Weißensee) mit der Serienproduktion der Keßner-Flossen.

 

Keßner-Flossen

 

R.B.: Was geschah nach dem Rauswurf aus der Schwimmsektion?

 

G.S.: Im Frühjahr 1951 unternahmen Helmut und ich die ersten Freiwassertauchversuche im Bötzsee bei Strausberg und dann am Heinitzsee bei Rüdersdorf. Der See war sehr klar und damals ein beliebtes Badegewässer. In einer Köpenicker Glaserei hatten wir uns oval geformte Scheiben für die Masken anfertigen lassen und bauten uns aus zwei Besenstielen und einer Eisenspitze eine etwa zwei Meter lange Stechharpune.

 

An einem Wochenende im Mai 1951 hatten wir zufällig vier Taucher aus Westberlin getroffen. Sie hatten Masken mit integriertem Schnorchel, Flossen, eine Unterwasserkamera, eine Schussharpune und sogar ein Draeger-Sauerstoff-Kreislauftauchgerät dabei. Die Gruppe nannte sich AFU – Arbeitsgemeinschaft für Unterwasserforschung.

 

Anmerkung: Die AFU wurde am 13. Januar 1951 gegründet. Erster Vorsitzender war Fred Methner (geb.: 16.7.1927, gest. 12.11.1996). Methner gilt als Begründer der Westberliner Taucherszene. Er hatte bereits seit 1948 mit Genehmigung der Reichsanstalt für Fischerei und den Rüdersdorfer Kalk-, Zement- und Betonwerken die Seen bei Rüdersdorf, Woltersdorf und Erkner betaucht. Für „hydrobiologsche Versuche“ und die Beobachtung der Tier- und Pflanzenwelt der märkischen Seen wurde ihm seitens des Pädagogischen Kabinetts des Ministers für Volksbildung, Wissenschaft und Kunst ein Empfehlungsschreiben ausgestellt. 1952 wurde die AFU in Deutsche Arbeitsgemeinschaft für Unterwasserforschung (DAFU) umbenannt und richtete ihre Geschäftsstelle in der Fasanenstraße 4 in Westberlin ein. 1953 wurde die DAFU in Deutscher Unterwasser Club Berlin (DUC Berlin) umbenannt. Fred Methner leitete den Verein bis 1964 als erster Vorsitzender und wurde dann zum Ehrenvorsitzenden ernannt.

 

G.S.: Das Zusammentreffen mit den AFU-Tauchern war für uns eine Offenbarung. Bereitwillig erklärten sie uns das Tauchgerät. Helmut stellte viele Fragen. Daraufhin entschlossen wir uns, unser eigenes Sauerstoff-Kreislaufgerät zu bauen. Wir verbrachten viele Wochenenden am See und im Sommer 1951 einen zweiwöchigen Urlaub. Davon gibt es einige Fotos, die ich mit meiner „Tengor-Box“ gemacht habe.

 

Gerhard Steinert am Heinitzsee (um 1956)

 

R.B.: Habt ihr damals auch schon unter Wasser fotografiert?

 

G.S.: Nein, soweit waren wir da noch nicht. Die Lichtstärke der „Tengor-Box“ war dafür auch zu schlecht. Auch wäre es ein riesiges Gehäuse geworden. Meine ersten Unterwasseraufnahmen machte ich mit meiner SIDA, einer 24x24mm Kleinbildkamera. Helmut kaufte sich eine Altix III. Das Gehäuse für die Altix aus Messing haben wir nie richtig dicht bekommen. Keine Ahnung warum, schließlich bauten wir ein neues Gehäuse aus Stahlblech. Unsere ersten brauchbaren Bilder machten wir im Herbst 1951.

 

R.B.: Wann war das Eigenbau-Sauerstoff-Kreislaufgerät fertig?

 

G.S.: Wir hatten die Gebrauchsanweisung des Dräger-Sauerstoffgerätes der AFU-Taucher und das Buch „Tauchertechnik“ von Hermann Stelzner sorgfältig studiert. Im Sommer 1952 hatten wir das Gerät endlich fertig und testeten es im sechs Meter tiefen Sprungbecken des Berliner Olympiastadions. Alles funktionierte einwandfrei. Dann begannen wir im Heinitzsee zu tauchen. Wir waren die einzigen mit so fortschrittlicher Tauchtechnik. Die AFU-Taucher durften dort nicht mehr tauchen, da Westberlinern ab Mai 1952 die Einreise in die DDR mit Ausnahme Ost-Berlins untersagt war. 1952 lernten wird dann Johannes Watermann, Peter Zenthöfer und Jürgen Schmidt kennen, mit denen wir uns anfreundeten. Sie hatten dort mit einem Taucherhelm Tauchversuche unternommen. Auch Peter Scharf schloss sich unserer Gruppe an. Wir beschäftigten uns mit dem Bau neuer Tauchtechnik, vor allem mit Presslufttauchgeräten und Kälteschutzanzügen, denn unser Ziel war die Erkundung größerer Tiefen. Mit dem Sauerstoffgerät konnten wir ja nicht tiefer als 10 Meter tauchen.

 

R.B.: Wann hast du deinen ersten Pressluft-Regler gebaut?

 

G.S.: Wir sammelten Zeitungsartikel und Bildmaterial übers Pressluft-Tauchen und besorgten uns von einem Schrottplatz eine 7-l-Gasflasche. Mein erster Druckregler war im Frühsommer 1953 fertig. Die Leistung war aber noch unzureichend. Ich verbesserte ihn immer weiter. Das vierte Modell wurde dann als „Neurervorschlag“ von meinem Ausbildungsbetrieb, dem Funkwerk Köpenick, angenommen. Am 18. April 1954 hatte ich mit meinem selbstkonstruierten Presslufttauchgerät als erster die 30-Meter-Marke des Heinitzsees erreicht. An diesem Tag musste ich als Erster mit meiner Technik abtauchen, um so den Tauchkameraden das nötige Vertrauen zu geben.

 

R.B.: Erst zwei Jahre nach eurem Eigenbau-Kreislaufgerät wurde in der DDR ein Kreislaufgerät serienmäßig auf den Markt gebracht, die Medi-Nixe vom VEB Medizintechnik Leipzig und erst 1959 folgte das Presslufttauchgerät Medi 713. Du warst also der Zeit weit voraus. Hattest du ihnen deine Erfindung angeboten?

 

G.S.: Ja, bereits 1953. Im Rahmen einer Veranstaltung des Wasserrettungsdienstes führte die Firma Medizintechnik Leipzig ihr neues Sauerstofftauchgerät Medi-Nixe vor. Wir stahlen ihnen mit unserem Pressluftgerät wohl die Schau. Wir boten ihnen den Nachbau an, was jedoch prompt abgelehnt wurde. Die Fertigung meines Zweistufen-Reglers wurde mit der Begründung verworfen, dass sie erstmal ihre eigenen Konstruktionen verwirklichen wollten. Und so baute Medizintechnik Leipzig ihre Medi-Nixe weiter. Das Sauerstoffkreislaufgerät wurde 1954 auf den Markt gebracht und von den Tauchern spöttisch „Giftsack“ genannt, da recht häufig Unfälle passierten. Die Produktion moderner Presslufttauchgeräte wurde auf Jahre blockiert.

 

R.S.: 1963 kritisierte Karl-Heinz Werner öffentlich in der DDR-Taucherzeitschrift „Poseidon“, dass der VEB Medizintechnik Leipzig seit Jahren keine fremde Idee oder Initiative beim Tauchgerätebau duldete, was zu einer Stagnation der Entwicklung geführt hat und eine große Lücke im Bau von leichten Sporttauchgeräten hinterlassen hatte.

 

G.S.: Das ist richtig. In dem Artikel ging es um den von uns konstruierten Lungenautomaten SW 63. SW steht führt Steinert-Werner und 63 für das Baujahr 1963. Es handelte sich um einen einstufigen Lungenautomaten von robuster Bauart, kleinen Abmessungen und guter Leistung. Den ersten Prototypen hatten wir im Spätsommer 1960 gebaut. Dem ersten Muster folgte eine kleine Serie von zehn bis zwölf Reglern, die im Sommer 1961 und 1962 in Tauchtiefen bis 35 m fleißig getestet wurden. Die Regler gingen weg wie warme Semmeln. Mit dem Regler war ich auch in den Schramlöchern.

Der Regler übertraf den damaligen Stand der Technik in der DDR. Ein Gutachten des Deutschen Amtes für Maß und Gewicht vom 16. März 1961 bescheinigte uns, dass der Atemwiderstand geringer ist, als bei den bisher bekannten Konstruktionen und durch „dieses Gerät eine empfindliche Lücke auf dem Gebiet der Sporttauchgeräte bis zu 20 m Tauchtiefe geschlossen wird“. Auch das Deutsche Amt für Messwesen und Warenprüfung bescheinigte uns am 27. Juni 1961, dass der Regler einwandfrei gearbeitet hat, die Tauchtests positiv abgelaufen sind und gegenüber den in der DDR hergestellten Reglern eine Verbesserung bestand. Für die serienmäßige Herstellung war unser Regler auch deshalb interessant, da die Möglichkeit bestand, auf den Einsatz von Buntmetall zu verzichten. Aufgrund des mechanisch robusten und unkomplizierten Aufbaues hätten die Herstellungs- und Materialkosten gegenüber dem Medi-Presslufttauchgerät 713 erheblich gesenkt werden können. Unser Regler hatte lediglich ein Gewicht von 950 g im Gegensatz zum Medi 713 mit 3.600 g.

In einem Massenbedarfsgüter-Wettbewerb in Berlin erhielt der Regler einen Preis in Höhe von 1000,00 Mark. Auch auf der Messe der Meister von Morgen wurde er ausgezeichnet. Seit 1961 bestand für unseren Regler ein Gebrauchsmuster. Dennoch wurde vom VEB Medizintechnik der Bau des Reglers und eine Verwendung unserer Konstruktionsgedanken abgelehnt. Das ist für mich noch heute völlig unverständlich.

 

R.B.: War die Stagnation der materiell-technische Basis für die Ausübung des Tauchsports der Grund, weshalb du dich Mitte der 1960er Jahre aus der aktiven Taucherszene zurückgezogen hast?

 

G.S.: Nein. Der Grund war, dass ab 1965 das freie Tauchen verboten wurde und nur noch innerhalb der GST gestattet war. Ich sah mich als einer der Tauchpioniere in der DDR und empfand es als Zumutung, dass ich fortan meine Eignung und mein Wissen vor GST-Funktionären beweisen sollte. Ich beschloss daher eine längere Auszeit vom Gerätetauchen zu nehmen.

 

R.B.: Wie lange dauerte diese Auszeit?

 

G.S.: 15 Jahre. In dieser Zeit bin ich nur mit ABC-Ausrüstung und Fotoapparat oder Filmkamera unter Wasser gewesen. Erst als Jürgen Schmidt 1980 die Adlershofer Foto- und Filmgruppe des Fernsehens der DDR wiederbelebte, erklärte ich mich bereit, bei den von ihm organisierten Ausbildungslagern für die Technik da zu sein. Jürgen organisierte in den folgenden Jahren regelmäßig Taucherlager, u.a. am Tonsee, an der Ostsee und am Helenesee. Er war ein guter Organisator. Das war wirklich schön.

 

R.B.: Bis wann bist du regelmäßig getaucht?

 

G.S.: Meine aktive Zeit als Sporttaucher endete kurz vor der Wende. 1994 baute ich mir auf dem Küchentisch nochmal mein altes Sauerstoffkreislaufgerät zusammen. Mit dem bin ich bis 2001 getaucht. Und 1995 überredete mich mein alter Tauchkamerad Bernd Papenfuß zu einer Teilnahme an einer Reise mit dem Tauchsportklub Adlershof ans Rote Meer. Dort sah ich zum ersten Mal die Pracht farbiger Korallen. Ein Kindheitstraum hatte sich erfüllt. Darauf hatte ich gewartet, seit ich 1949 das Buch „Unter Korallen und Haien“ von Hans Hass das erste Mal gelesen hatte.

 

R.B.: Danke Gerhard, dass du eine Vielzahl deiner Erfindungen und Konstruktionen dem Sporttauchermuseum Wendenschloß zur Verfügung gestellt hast und vielen Dank, dass du dir die Zeit für das Interview genommen hast.

 

Gerhard Steinert im Gespräch mit Roger Blum (2022)


Quelle: Roger Blum/Steven Blum: "Schwerelose Zeiten - Tauchererinnerungen"



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