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Auf Tierfangexpedition an der Adria (1960)

Interview mit Günter Netzel


Vom 1. April bis 30. April 1960 fuhr eine Gruppe junger GST-Taucher aus dem Haus der jungen Talente zu einer Unterwasserexpedition an die Adria. Im Mittelpunkt der Reise stand die Aufgabe marine Kleinfische und Pflanzen für den Tierpark Berlin und als Besatz für Aquarianer zu fangen sowie die wundersame Welt unter Wasser in Wort, Bild und Ton festzuhalten.

 

R.B.: Lieber Günter, vor 60 Jahren hast du an einer Fangexpedition an die jugoslawische Adria teilgenommen. Was genau war euer Auftrag?

 

G.N.: Nachdem im Jahre 1955 der Tierpark Berlin-Friedrichsfelde eröffnet wurde, sollten bereits ein paar Jahre später Erweiterungsbauten wie das Aquarium-Cafe hinzukommen. So kam es, dass eine Tierfangexpedition ans Mittelmeer geplant wurde, um Tiere und Pflanzen für die neueinzurichtenden Schauaquarien zu fangen. Aber auch andere zoologische Gärten der DDR und die dem Kulturbund der DDR angeschlossenen Meerwasseraquarianer sollten mit frischem Fang versorgt werden.  

 

R.B.: Wann genau startete die Expedition und wer gehörte zum Team?

 

G.N.: Die Expedition fand vom 1. bis 30. April 1960 statt. Zum Expeditionsteam gehörten drei Taucher von der Meeresbiologischen Gruppe des Hauses der Jungen Talente (Klaus Vogelsang, Peter Gapski und ich), Fritz Reußrath als technischer Leiter, Dr. Hans-Günther Petzold vom Berliner Tierpark, Dr. Münnich vom Zoologischen Institut der Humboldt-Universität zu Berlin und Taucherarzt Dr. Henneberg, der für die Gesundheit der Expeditionsteilnehmer verantwortlich war. Expeditionsleiter war Heinz Schild.


R.B. Die Durchführung einer solchen Expedition zu dieser Zeit war sicherlich teuer, aufwendig und musste "von oben" genehmigt werden. Durch wen wurde die Reise geplant und finanziert? Welche Leistungen wurden erwartet? Gab es besondere Herausforderungen, die bewältigt werden mussten?

 

G.N.: Die Kosten der Expedition wurden nach meinem Wissen von der FDJ übernommen. Genaues kann ich dazu leider nicht sagen.

 

R.B. Welche Rollen spielten Heinz Schild, Dr. Hans-Günther Petzold und Dr. Münnich? Was waren ihre Aufgaben auf der Expedition?

 

G.N.: Heinz Schild war Expeditionsleiter, die anderen beiden waren hauptsächlich mit der biologischen Auswertung, Katalogisierung des jeweiligen Fangtages und der Weiterbildung der Taucher zu biologischen Fragen verantwortlich. Der spätere Stellvertreter des Direktors des Tierparks Berlin Dr. Hans-Günther Petzold war zu dieser Zeit Direktionsassistent unter dem legendären Prof. Dr. Dr. Heinrich Dathe.

 

R.B. Weshalb fiel die Wahl auf die Reußrath-Tauchergruppe?

 

G.N. Sie war zu diesem Zeitpunkt die erfahrenste Tauchgruppe in Berlin. Das Tauchen stecke damals noch in den Kinderschuhen. Wir bauten unsere Ausrüstung selbst und tüftelten an neuen innovativen Ideen. Fritz Reußrath hatte schon 1956 Erfahrungen auf einer Tauchexpedition nach Albanien gesammelt, die gemeinsam von der GST und der "BZ am Abend" vorbereitet worden war. Er und acht weitere Tauchsportler der GST sind damals an die Adria gefahren. Begleitet worden ist diese Forschungsreise von drei wissenschaftlichen Mitarbeitern des Berliner Naturkundemuseums und von der Humboldt-Universität unter Leitung von Dr. Gruner.

 

R.B. Wie bist Du auf die Reußrath-Tauchergruppe gestoßen?

 

G.N.: Aufgrund der Berichte der Albanien-Exkursion in der Tagespresse wurde ich auf die Tauchergruppe im „Haus der Jungen Talente“ aufmerksam und trat dieser 1957 bei. Als Mechaniker war ich dort sehr willkommen. 1958 half ich bei der technischen Vorbereitung des Höhlentaucheinsatzes in der Heimkehle bei Uftrungen und es folgten viele Einsätze an unterschiedlichen Orten in der DDR. 1960 durfte ich dann mit an die Adria fahren.

 

R.B. Nach welchen Kriterien wurden die Teilnehmer der Expedition ausgewählt?

 

G.N.: Der Tauchergruppe im „Haus der Jungen Talente“ gehörten zur damaligen Zeit etwa 30 junge Tauchsportler an. Als Leiter der Gruppe hatte Fritz Reusrath die Möglichkeit, die Teilnehmer für die Expedition auszusuche. In der Schwimmhalle und im Freiwasser wurde für die Teilnahme an der Expedition hart trainiert. So wurde in der Halle ein Streckentauchen-Wettbewerb mehrmals durchgeführt und dabei konnte ich mit 105 Metern am Ende gewinnen. Ich bin allerdings damals von Lutz Strobel bewusstlos aus dem Becken gezogen worden. Im damaligen Heinitzsee in Rüdersdorf haben wir auch Apnoe-Tauchgänge unternommen und Tiefen über 15 Meter erreicht. So stand nach hartem Wettbewerb untereinander dann fest, welche drei Taucher an der Expedition teilnehmen werden: Klaus Vogelsang, Peter Gapski und ich.

 

R.B. Wie ging es weiter?

 

G.N.: Am 1. April 1960 war es endlich soweit. Mit einer Chartermaschine der Deutschen Lufthansa (Ost) vom Typ IL-14 flogen wir vom Flughafen Schönefeld-Diedersdorf via Budapest nach Belgrad. Aufgrund eines heftigen Unwetters war das eigentliche Ziel, der Flugplatz in Split, gesperrt. Es musste die gesamte Expeditionsausrüstung mit der Bahn von Belgrad nach Split zum Hafen befördert werden. Wir haben alles auf ein Schiff umgeladen, welches die Ausrüstung zum Limnologischen Institut brachte. Zur Ausrüstung gehörten zahlreiche Schwimmflossen und Tauchmasken, Schnorchel, Medi-Nixen (Kreislaufgeräte des VEB Medizintechnik Leipzig) mit Sauerstoff-Ersatzflaschen, mehrere 7l – Pressluftfaschen und Atemregler, Tauchanzüge, Harpunen, Foto- und Schmalfilmkameras mit den dazugehörigen wasserdichten Gehäusen, Lichttechnik für Nachttauchgänge, sowie Zelte, Werkzeuge, Ersatzteile und leere Kisten für das Fangmaterial. Den größten Teil der Geräte hatten wir im „Haus der Jungend Talente“ selbst gebaut. Mir wurde die Wartung der Technik übertragen. Oft hatte ich bis in die späten Abendstunden damit zu tun.

 

R.B.: Welche Herausforderungen gab es dabei zu meistern?

 

G.N.: Unsere mitgenommenen Gerätschaften mussten nach jedem Tauchgang mit Süßwasser gereinigt und für den nächsten Einsatz vorbereitet werden. Die für die Tauchgänge notwendige Pressluft musste von einer Schiffswerft in Split geholt werden. Wir mussten alle 4 Tage stets neue Luftreserven in 40-l-Preßluftflaschen heranschaffen. Bei dieser Aufgabe unterstützte mich ein Techniker des Instituts für Ozeanografie und Fischerei.

 

R.B.: Welche weitere Unterstützung gab es vom Institut für Ozeanografie und Fischerei?

 

G.N.: Wir fanden Unterkunft und Arbeitsmöglichkeiten in den Räumlichkeiten des Instituts. Uns wurden ein Motorboot und ein Ruderboot zur Verfügung gestellt. Auch durften wir an Ausfahrten mit den Forschungsschiffen teilnehmen und die Arbeitsräume und Aquarienanlagen nutzen. Als Dankeschön kamen wir dem Wunsch der Freunde vom Institut nach und haben auf einer vorgelagerten Insel eine Süßwasserquelle erkundet, die für die Trinkwasserversorgung der Insel erschlossen werden sollte.


Auszug aus Günter Netzels Expeditionstagebuch


R.B.: Welche Erinnerung hast du an den Tag, als ihr zum ersten Mal zum Tauchen ins Meer gestiegen seit?

 

G.N.: Zuerst sprangen wir nur mit Maske, Flossen und Schnorchel ausgerüstet ins Meer. So konnten wir, nur wenige Zentimeter über der Oberfläche schwimmend, durch die Masken die unglaubliche Unterwasserwelt der dalmatinischen Küste von oben überblicken. Ein herrliches Bild bot sich uns bei der ersten Erkundung dar. Zwischen den Rissen und Krusten der Felsen herrschte ein üppiges Tier- und Pflanzenleben. Seenelken und Seeanemonen, bizarre Nacktschnecken und farbenprächtige Lippfische. Dazwischen lagen Seeigel und schlängelten sich See- und Schlangensterne in prächtigen Farben. Sagenhafte Tintenfische schienen aus einer anderen Welt zu kommen.

 

R.B.: Im Mittelpunkt der Expeditionsreise stand der Tierfang. Gab es spezielle Fangaufträge oder war es dem Zufall überlassen? Gab es kuriose Erlebnisse?

 

G.N.: Alles was wir fangen konnten, haben wir mitgenommen. Mit Hilfe unserer Tauchgeräte konnten wir bis 60 Minuten unter Wasser bleiben und in aller Ruhe Fische fangen und die Felsen absammeln. Bei unseren Tauchgängen sammelten wir allerlei Krabben, Langusten, Einsiedlerkrebse, Schnecken, Seegurken, Seeigel, Korallen, Aktinien, Zylinder- und Wachsrosen. Auch Seepferdchen, zwei kleine Katzenhaie und Tintenfische waren dabei. Die Fangergebnisse waren ein voller Erfolg.

 

R.B.: Was passierte mit den Tieren?

 

G.N.: Im Limnologischen Institut haben wir die Tiere gehältert. Dazu wurde frisches Wasser aus dem Hafen in die Becken gepumpt. Am Ende der Reise hatten wir sie in Folienbeutel verpackt und diese unter Zugabe von reinem Sauerstoff in Transportkisten verstaut. Die meisten der etwa 1000 Tiere kamen wohlbehalten in Berlin an. Die Meerwasseraquarianer vom Kulturbund hatten mit großem Aufwand Seewasseraquarien angefertigt. Pumpen und Salzmischungen waren damals nicht käuflich zu erwerben, sondern mussten extra hergestellt werden. Nur mit der fünfundsiebzig Kilogramm schweren Schildkröte „Frieda“ hatten sie nicht gerechnet.

 

R.B.: Weißt du was aus „Frieda“ geworden ist?

 

G.N.: Die von uns gefangene Seeschildkröte wurde zuerst in ein Großbecken in einer Sporthalle an der Stalinallee zur Schau gestellt. „Frieda“ kam dann nach Leipzig ins Aquarium. Nach ihrem Ableben (das Jahr ist mir unbekannt) kam sie als Präparat ins Meereskundemuseum nach Stralsund.

 

R.B.: Woran erinnerst du dich besonders gern?

 

G.N.: Ein Höhepunkt war der Fund und die Bergung mehrerer Amphoren, auf die wir zufällig beim Tauchen gestoßen sind. Spannend fand ich auch den nächtlichen Hummer- und Langustenfang. Bei den Nachttauchgängen erlebte ich zum ersten Mal auch das Meeresleuchten. Wenn das Wasser durch unsere Flossen bewegt wurde, schien es bläulich-grün zu leuchten. Verursacht wird das Meeresleuchten von im Wasser befindlichen Kleinstlebewesen, die nach Berührungsreiz mehr oder weniger lange andauernde Lichtsignale aussenden.


R.B.: Danke Günter, dass du dir die Zeit für das Interview genommen hast.


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