Erinnerungen von Dr. Helmut Wolff
Meine ersten richtigen Taucherfahrungen machte ich während meines Physikstudiums von 1950 bis 1955 in Leningrad. Von meinem Studentenwohnheim hatte ich einen Blick auf das Winterpalais. Unweit der Peter-und-Pauls-Festung befand sich unser Studentenheim an der Newa. Direkt an der Festung hatte die sowjetische DOASSF eine Wasserrettungsstelle. Die Freiwillige Gesellschaft zur Unterstützung der Armee, der Luftstreitkräfte und der Flotte war eine Organisation, in etwa vergleichbar mit der GST in der DDR. Durch die Mitgliedschaft in der DOSAAF sollten Jugendliche sportlich wie auch technisch auf ihren Wehrdienst in den Streitkräften der Sowjetunion vorbereitet werden. Dazu gehörten Aktivitäten wie Motorsport, Segelfliegen, Fallschirmspringen, Sportschießen, Amateurfunk und eben Tauchen. Ich beobachtete die Jugendlichen, wie sie von einem Boot aus Übungen mit einem Helmtauchgerät in der Newa unternahmen. Das interessierte mich und ich freundete mich mit den Tauchern an. Sie zeigten mir den Umgang mit einem Kreislaufgerät als auch mit der schweren Helmtauchausrüstung. Dies war eigentlich nicht gestattet, da ich keinerlei Tauchausbildung und als Ausländer auch keine Genehmigung fürs Tauchen besaß. Ich bin den Kameraden der DOSAAF dankbar, dass sie mir dennoch die ersten „echten“ Taucherlebnisse mit Sauerstoff- und Helmtauchgeräten ermöglichten. Meine Leidenschaft für das Tauchen war geweckt.
Ich erinnere mich noch an meinen ersten Tauchgang im schweren Helmtauchgerät. Vier Mann halfen mir durch den Gummikragen in den sehr weiten und geräumigen Anzug aus gummiertem Gewebe, die schweren Schuhe wurden befestigt, das Bruststück mit dem Kragen verbunden und schließlich der vierfenstrige Kupferhelm daraufgesetzt. Laut dröhnte es im Helm, als die drei Muttern des Flansches festgezogen wurden. Nach dem Anhängen der Brust- und Rückengewichte drückte die Ausrüstung recht erheblich. Die Luftzufuhr sowie das Telefon wurden überprüft und endlich das Helmfenster geschlossen. Ich befand mich in einer eigenen Atmosphäre, abgeschnitten von der Umwelt. Durch den klassischen Schlag auf den Helm wurde mir angezeigt, dass ich den Abstieg beginnen dürfte.
Nicht schwierig, aber schwerfällig!
Mühsam stieg ich in der ungefügen Ausrüstung die Taucherleiter hinab und merkte erst durch den an den Beinen zunehmenden Druck, dann durch das Nachlassen des Gewichts auf den Schultern, dass ich im Wasser war. Nach der Dichtigkeitsprüfung ließ ich mich auf den nur 5 Meter tiefen Grund sinken und fand mich auf den Beinen stehend in einer recht bequemen Lage. Das Gerät spürte ich nicht mehr, es störte nur das laute Rauschen der in den Helm einströmenden Luft. Endlich verstand ich auch die telefonische Anfrage von oben nach meinem Befinden. Ich bat, die Luftzufuhr etwas zu drosseln, denn schon nach sehr kurzer Zeit hob sich der Helm an und der Schrittriemen zerrte. Schnell ließ ich die Luft ab, um wieder richtig Fuß zu fassen. Dabei legte sich der Anzug immer fester an den Körper an, bis sich schließlich ein kleiner Bach durch das Auslassventil in den Helm ergoss. Ich war offenbar beim Luftablassen etwas zu eifrig gewesen.
Im Helmtauchgerät ist man dem Wasser eigenartig entrückt. Die nassen, kalten Hände vergessend, fühlte ich mich in diesem Gerät warm und geborgen. Bald fing ich an, die ersten Bewegungsübungen zu machen: Da kam die große Enttäuschung!
Welche Mühe bereitete es, nur wenige Schritte im Wasser voranzukommen, obwohl der Grund eben und fest war! Ich musste mich weit vorbeugen und mit den eisenbeschuhten Füßen kräftig vom Boden abstoßen. Rückwärts ging es etwas besser. Wie schwer muss das Vorankommen sein, wenn es modrig ist, so dass die Füße keinen Halt finden! Auch der Schlauch und die Sicherheitsleine waren für mich Anfänger sehr hinderlich, stets musste ich mir über ihre Lage im Klaren sein, sie ständig nachziehen. Durch den gesteigerten Luftbedarf beim Laufen und Ausführen verschiedener Übungen stieg, für mich anfangs unbemerkt, der CO²-Gehalt der Luft im Helm und damit die Atemfrequenz. Ich musste die Bedienung oben bitten, die Luftzufuhr zu steigern. Der Taucher ist also gezwungen, durch Weisungen an die Bedienungsmannschaft die Luftzufuhr seinem Bedarf anzupassen; trotzdem ist er vor schädlichen CO²-Anreicherungen im Gerät nie ganz sicher.
Der Blickwinkel aus dem Helmfenster war kaum geringer als die aus einer gewöhnlichen Tauchermaske, allerdings war es zunächst sehr hinderlich, dass ich weder den Boden vor mir noch meine eigene Ausrüstung sehen konnte. Schlecht wird die Sache aber dann, wenn man mit den Eisenschuhen den Grund derart aufwühlt, dass jede Sicht genommen wird. Sehnsüchtig dachte ich an meine leichte Taucherausrüstung zurück, die es spielend gestattet, gleich einem Fisch durchs Wasser zu gleiten, ungeachtet der Bodenverhältnisse. Es gibt auch keinen schweren Schlauch, der die Bewegungsfreiheit einengt, keine Bitte: ‚Mehr Luft‘; der Regler gibt mir so viel ich brauche!
Etwas enttäuscht sagte ich der Bedienungsmannschaft durch, dass ich aufsteigen werde. Ich ließ die Luft nicht mehr ab und spürte, mich am Grundtau haltend, wie das Gerät allmählich leichter wurde und dann nach oben zog. Es war ein herrliches Gefühl, mühelos wie in einem Fahrstuhl so nach oben zu schweben. Um die Steigegeschwindigkeit nicht zu groß werden zu lassen, musste ich ständig Luft ablassen.
Endlich durchbrach der Helm die Wasseroberfläche. Wie eine Boje hing ich an der Oberfläche. Aus Vergnügen am Erlebten wiederholte ich das ganze Manöver noch einmal und stieg dann die Taucherleiter hinauf. Obwohl es nur wenige Sprossen waren, fiel es mir mit der schweren Ausrüstung gar nicht so leicht. Das Helmfenster wurde abgeschraubt, die Luftzufuhr abgestellt und ich hatte eines meiner interessantesten Erlebnisse hinter mir.
„Zaungast“ am Heinitzsee
Ich beendete mein Studium und zog 1955 zurück nach Deutschland. Meine Eltern lebten in Schöneiche. Von hier aus war es nicht weit zum Heinitzsee. Als „Zaungast“ beobachtete ich dort Taucher bei ihren Unternehmungen. Es war die Gruppe um Gerhard Steinert, Helmut Keßner, Peter Scharf und Jürgen Schmidt. Ich wollte ebenfalls Tauchen und kaufte mir ein Sauerstoffkreislaufgerät Medi Nixe 711 des VEB Medizintechnik Leipzig, das 1954 in der DDR auf den Markt gekommen war. Ich übte vor allem im Lipnitzsee bei Bernau. Später tauchte ich natürlich auch viel im Heinitzsee, aber in die Schramlöcher bekam mich niemand rein.
Dr. Helmut Wolff nach einem Eistauchgang im Heinitzsee (1971)
Mit einem schlauchlosen Helmtauchgerät auf dem Grund des Heinitzsees
Ein Handicap der schweren Taucherei war vor allem die eingeschränkte Bewegungsmöglichkeit aufgrund des Luftschlauches. Dieses Problem löste das schlauchlose Helmtauchgerät Dräger DM 40. Das freundliche Entgegenkommen einer Dienststelle der Feuerwehr ermöglichte es mir im Jahre 1961 dieses Gerät auszuprobieren. Ort der Handlung war der wohlbekannte Heinitzsee bei Rüdersdorf.
Mit Helmtauchgerät am Heinitzsee
Ich brachte hinsichtlich dieses speziellen Gerätes keinerlei praktische Vorkenntnisse mit. Natürlich bin ich zuvor schon öfter mit Schlauchtauchergeräten in verschiedenen Tiefen gewesen und hatte mich auch eingehend mit der Funktion des DM 40 befasst. Prinzipiell war mir also genau bekannt, wie das Tauchen mit diesem Gerät verlaufen müsste.
Nachdem ich doppeltes Wollzeug, zusätzlich lange dicke Strümpfe und Handschuhe angezogen hatte, zwängte ich mich in den schweren Taucheranzug. Gern ließ ich sitzend die Prozedur des Anrüstens über mich ergehen. Unter den geübten Händen der Feuerwehrtaucher ging dies blitzschnell vonstatten. Noch ehe ich mich versah, wurde das große Pressluft-Brustgerät sowie der Rückenapparat an das Schulterstück angehängt. Beim Aufstehen bekam ich das Gewicht der Ausrüstung zu spüren. Der Rückenapparat, der die Druckflaschen mit dem Atemgas und die Luftaufbereitungsanlage enthält, wurde in Tätigkeit gesetzt und das Helmfenster eingeschraubt. Gleichmäßiges Rauschen und ein kühler Luftstrom am Gesicht zeugten von der Funktion des Gerätes. Nach der Dichtigkeitsprobe konnte ich mit dem Abstieg beginnen. Die Eigenheit des DM 40 liegt – wie übrigens auch der leichten Sauerstoffkreislaufgeräte – darin, dass es wohl den Atemgasverbrauch automatisch ausgleicht, nicht aber den Volumenschwund, hervorgerufen durch den mit der Tauchtiefe zunehmenden Umgebungsdruck.
Bei 8 Metern Tiefe hatte die Luftblase im Taucheranzug so weit abgenommen, dass die Atmung beeinträchtigt wurde. Es war also Zeit, Luft nachzuliefern. Mit einigen weiteren Luftnachschüben gelangte ich ohne Schwierigkeiten in etwa 30 Meter Tiefe. Unten angekommen, versuchte ich erst einmal, einige Minuten am gleichen Ort stehend, mich an das Gerät zu gewöhnen. Der relativ kräftige gleichmäßige Luftstrom wirkte sehr angenehm und erfrischend. Er wird durch die im Rückenapparat befindliche Injektoreinrichtung erzeugt. In Zweiminutenabständen musste ich, um nicht zu leicht zu werden, Luft aus dem Helmventil ablassen.
Um einen Hang leichter ersteigen zu können, versuchte ich den Anzug mittels des Pressluftbrustgewichtes etwas aufzublähen. Leider blieben meine Bemühungen erfolglos – der Pressluftvorrat war schon erschöpft. Selbst bei größter Verschwendung hätten noch etwa 250 Liter in den beiden kleinen Druckflaschen sein müssen. Die Ursache des rätselhaften Verschwindens der Luft war bald gefunden: Ich hatte nach dem Abstieg das Ventil nicht fest verschlossen! Das leichte Zischen der aus dem Brustgewicht in den Helm strömenden Luft war mir, vom Rauschen der Zirkulationsluft übertönt, nicht aufgefallen. Daher auch das häufige Luftablassen – dem Geübten wäre das ein sicheres Zeichen gewesen.
Es hieß also ohne Pressluftvorrat auskommen. Da ich mich am Grunde des Sees befand, konnte keine Gefahr durch Absturz entstehen, andernfalls hätte das Tauchen sofort abgebrochen werden müssen. Zur Erklärung möchte ich hier einfügen, dass der Absturz bei allen geschlossenen Tauchergeräten mit starrem Helm eine bekannte Gefahrenquelle darstellt. Der Taucher gerät in sehr ernste Schwierigkeiten, wenn beim schnellen Absinken nicht genügend Luft in den Anzug gelangt, um den schon erwähnten Volumenschwund auszugleichen. Das Luftvolumen kann nur bis auf das vom starren Helm eingeschlossene abnehmen – bei weiterem Sinken entsteht im Helm zunehmend ein relativer Unterdruck, der jede Atmung unterbindet und schließlich zum Tode des Tauchers führen kann. Dabei ist zu beachten, dass unter Umständen schon ein nur wenige Meter betragender Absturz lebensgefährlich sein kann. Da das starr umschlossene Luftvolumen beim DM 40 wegen des Rückenapparats um fast 6 Liter größer ist als beim Schlauchtauchergerät, ist die zulässige Absturztiefe um fast 25 Prozent geringer als bei letzterem.
Vom Schlauchtauchgerät her kannte ich die Möglichkeit, sich zur Fortbewegung der Hilfe der Anzugluft zu bedienen, wie überhaupt die „Arbeit mit der Luft“, die Handhabung der schweren Schlauchtauchgeräte wesentlich erleichtern kann. Ich empfand es als Nachteil des DM 40, dass diese „Arbeit mit der Luft“ auch bei normalem Vorrat niemals in großem Maße durchgeführt werden kann. Die Fortbewegung am Grund schien mir recht mühsam, wohl bedingt durch die mangelnde Routine.
Die Tauchzeit verstrich ungeahnt schnell, und es hieß Auftauchen. Da mir im Brustgewicht kein Vorrat mehr zur Verfügung stand, um den Anzug für den Aufstieg aufzublasen, bat ich den Signalmann, mich mit der Sicherheitsleine etwas anzuhieven. Nach einigen Metern hatte sich die Luft im Anzug so weit ausgedehnt, dass ich positiven Auftrieb bekam. Unter Einhaltung einer kleinen Dekompressionspause ging dann der Aufstieg glatt vonstatten. Nach dem Herausschälen aus der schweren Rüstung fühlte ich mich sehr wohl und vermisste eigentlich etwas den leisen Kopfschmerz, der sich sonst beim Tauchen mit dem Schlauchtauchgerät fast regelmäßig einstellte und der sicherlich auf die erhöhte CO2-Konzentration im Helm zurückzuführen sein dürfte.
Mein Schlüsselerlebnis
1956 unternahm ich als Tourist eine Reise nach Albanien. Die Albaner hatten noch überhaupt keine Erfahrungen mit Touristen und haben sich unglaublich Mühe gegeben. Albanien war damals noch touristisches Neuland.
Von Prag flog ich mit einer DC-3 (den Berlinern als „Rosinenbomber“ bekannt) über Belgrad nach Tirana. Bei der Landung in Belgrad herrschte starker Seitenwind und die Tragfläche der Maschine berührte den Boden. Mit beschädigtem Positionslicht sowie einigen Dellen und Kratzern in der Tragfläche flogen wir weiter nach Tirana, der Hauptstadt Albaniens. Unsere touristische Unterkunft befand sich an der Bucht von Flora. Mit im Gepäck hatte ich mein Sauerstoffkreislaufgerät Medi-Nixe, Atemkalk und eine Sauerstoffflasche. In Flora baute die DDR gerade ein Fischkombinat auf. Durch Vermittlung des Leiters Herrn Kroboth, später bekannt als „Fischkoch“ im DDR-Fernsehen, erhielt ich hier Sauerstoff für mein Tauchgerät.
Ich tauchte mit meiner Medi-Nixe allein in der Bucht von Flora, des Sicherheitsrisikos war ich mir bewusst. Dort hatte ich äußerst interessante Taucheindrücke: Schildkröten, riesige Zackenbarsche und viel Fisch. Die Adria war damals dort ganz unberührt und einmalig schön. Leider hatte ich damals noch keine Kamera. Auch ein Weltkriegswrack befindet sich in der Bucht von Flora. Kurz danach unternahm übrigens eine GST-Gruppe um Fritz Reußrath eine Tauchexpedition nach Flora. Dort entstand das Buch „Fackeln in der Adria“ von Gerhard Kleinlein.
Die Albanien-Reise 1956 war jedenfalls mein Schlüsselerlebnis. Von da an hat mich das Tauchen nicht mehr losgelassen. Zurück in der Heimat habe ich Anschluss an andere Taucher gesucht.
Quelle: Roger Blum/Steven Blum, Schwerelose Zeiten - Tauchererinnerungen, Berlin (2020)
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