Piratenjagd in Saint Thomas
- Steven Blum

- 11. Aug.
- 2 Min. Lesezeit
Im Frühjahr 2024 reiste ich durch die Karibik – und überall, wo ich an Land ging, hörte ich Geschichten von Piraten und ihren Schätzen. In Charlotte Amalie, der Hauptstadt der Amerikanischen Jungferninseln, begegnete ich ihnen auf Schritt und Tritt. Die Stadt gilt seit Jahrhunderten als Piratennest, und nicht wenige Einheimische sind stolz auf diesen schillernden Teil ihrer Vergangenheit. Der gefürchtete Blackbeard soll hier gewohnt haben und ich besuchte den Turm, von dem er aus angeblich die Hafeneinfahrt überwachte.
Auf Saint Thomas (US Virgin Islands)
Doch zwischen den allseits bekannten Legenden hörte ich auch eine weniger geläufige, dafür umso fesselndere Geschichte: die nächtliche Jagd des britischen Kapitäns Charles Carlile. Es war kein Seemannsgarn, sondern ein verbürgtes Ereignis – und je mehr ich darüber erfuhr, desto deutlicher spürte ich, wie dünn hier in der Karibik die Trennlinie zwischen Mythos und Geschichte
In der Nacht des 9. August 1683 lag die HMS Francis unter dem Kommando von Kapitän Charles Carlile vor dem Hafen von Saint Thomas – dem heutigen Charlotte Amalie. Dort entdeckte Carlile ein großes, bewaffnetes Schiff, das die Flagge eines englischen Kriegsschiffes führte. Für den erfahrenen Offizier war dies ein untrügliches Zeichen für Täuschung: Kein Schiff der Royal Navy befand sich zu dieser Zeit in der Region.
Als die Francis Kurs auf den Hafen nahm, geriet sein Schiff sofort unter heftiges Geschützfeuer. Salven krachten vom verdächtigen Schiff herüber, verstärkt durch Kanonenstellungen an Land. Ein direkter Angriff war unter diesen Umständen nicht möglich Carlile musste abbrechen. Doch aufgeben kam für den Piratenjäger nicht in Frage.
Stattdessen entschied Carlile sich für einen nächtlichen Handstreich. In tiefer Dunkelheit stachen er und seine Männer mit mehreren Ruderbooten vom Mutterschiff los. Ohne Laternen, nur das Plätschern der Riemen im Wasser, glitten sie lautlos in den Hafen. An Bord des fremden Schiffs standen Wachen – und als die Schatten der Angreifer zu erkennen waren, entbrannte ein kurzes, aber heftiges Feuergefecht mit Musketen und Pistolen, ehe sich die Angreifer wieder zur HMS Francis zurückzogen.
Danach landete Carlile mit seinen Männern an der Küste. Viele Piraten hatten ihre Schiffe und Kapitäne bereits verlassen, offenbar mit ihren Löhnen in den Taschen. Ein ortskundiger Lotse bestätigte Carliles Verdacht – das Schiff unter falscher Flagge war die Trompeuse, das im Jahr zuvor von einer Bande Freibeuter unter dem berüchtigten Piratenkapitän Jean Hamlin erbeutet worden war. Für Carlile war das genug. Noch am selben Tag ließ er die Trompeuse in Brand setzen. Kurz darauf explodierte das Schiff und setzte ein zweites Schiff im Hafen ebenfalls in Brand. Dabei handelte sich um die Santisma Trinidad des Piratenkapitäns Bartholomew Sharpe. Nach dieser Tat stach Carlile in See. Die Flammen über dem Hafen von Saint Thomas waren ein unmissverständliches Signal an die Seeräuber der Karibik: Die Royal Navy würde ihre Jagd fortsetzen – bis zur letzten Planke.




















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