Seit Jahren durchwühlen Schatzgräber und Glücksritter verlassene Stollen und Schächte unter dem verschlafenen Nest Deutschneudorf im Erzgebirge an der tschechischen Grenze. Es wird gegraben, gebuddelt, gebohrt und gebaggert. Doch gefunden wurde bisher nichts. Kein Goldschatz der Nazis, kein Bernsteinzimmer, keine Kisten mit geheimen Reichsakten, keine Kunstschätze.
Um verschwundene Nazi-Schätze ranken sich zahlreiche Verschwörungstheorien, die den Legenden um Nessie oder das Bermudadreieck in nichts nachstehen. Am bekanntesten sind die Geschichten um das legendäre Bernsteinzimmer, das seit 1944 als verschollen gilt und nach dem bereits in fast ganz Mitteleuropa gesucht worden ist.
Das honig-bis orangegelbe Kabinett aus geschliffenem versteinerten Baumharz zusammengefügten Platten wurde im Auftrag des ersten preußischen Königs Friedrich I. Anfang des 18. Jahrhunderts in Berlin gefertigt. Zar Peter der Große war bei einem Besuch in Berlin im Jahre 1716 von der einzigartigen Wandvertäfelung so fasziniert, dass er sie gegen fünf Dutzend besonders groß gewachsene Söldner für das Garderegiment „Die langen Kerls“ des „Soldatenkönigs“ Friedrich Wilhelm I tauschte. Knapp zwei Jahrhunderte befand sich das Bernsteinzimmer im Katharinenpalais in Zarskoje Selo bei St. Petersburg in Russland. Im Oktober 1941 entfernten es von dort Soldaten der Wehrmacht und ließen es in 28 Kisten (oder waren es nur 27?) nach Königsberg (heute Kaliningrad) bringen, wo es Mitte November 1941 zum ersten Mal der allgemeinen Öffentlichkeit präsentiert wurde. Zweieinhalb Jahre später wurde es wieder demontiert und eingelagert. Damit verliert sich die Spur des Bernsteinzimmers. Jedenfalls die eindeutige Spur. Sind die 28 Kisten beim britischen Luftangriff auf die ostpreußische Hauptstadt am 30. August 1944 verbrannt? Oder waren sie vorher bombensicher versteckt worden? Und falls ja: Wohin wurden sie gebracht?
Über den Verbleib des Bernsteinzimmers gibt es zahlreiche, oft abenteuerliche Theorien. Eine der Spuren führt nach Deutschneudorf ins Erzgebirge. Wie ein Großteil aller Schatzgeschichten beginnt diese Spur am Sterbebett eines alten SS-Mannes (oder Soldaten), der in den letzten Minuten vor seinem Tod endlich sein Gewissen erleichtern will (Irgendwie kommt mir die Szene bekannt vor, denn genauso beginnt auch die Geschichte vom Goldzug von Walbrzych). Der alte Mann spricht von Erlebnissen kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs, als er einen mysteriösen Transport gesehen haben will. Von geheimnisvollen Depots im Berg ist die Rede, von Sprengfallen und von schwerem Wasser für das Atomprogramm der Nazis, von Soldaten, die schnell und heimlich Kisten ausluden und dann verschwanden, von gesprengten Stollenzugängen. Ende 1944 soll es geschehen sein. Heißt es.
Im Fortuna Stollen
Seitdem zieht es zahlreiche Abenteurer und Schatzgräber in die 1200-Einwohner-Gemeinde, in der zu DDR-Zeiten vor allem Räuchermännchen und Weihnachts-Schwibbögen geschnitzt wurden.. Die einen glauben, dass hier in den verborgenen Winkeln des Fortuna-Stollens 1,9 Tonnen ungestempeltes Gold lagern, das Reichsmarschall Hermann Göring für die Refinanzierung der Wehrmacht nach dem Krieg abgezweigt haben soll. Es soll unter dem geheimnisvollen Titel „Unternehmen Orfe“ von Görings Jagdsitz Carinhall bei Berlin ins Erzgebirge geschafft worden sein. Andere vermuten den Hatvany-Schatz, Gemälde aus dem Besitz eines jüdischen Sammlers aus Budapest, darunter Bilder von Cezanne, Picasso und Monet. Neben Raubgold und Kunstgegenständen vermuten andere Schatzjäger wiederum geheime Akten. Und last but not least werden natürlich auch Teile des Bernsteinzimmers hier vermutet.
1998 stößt man unter der ehemaligen Bahnstrecke nach Deutschneudorf im Ortsteil Deutschkatharinenburg auf den Fortuna Stollen, einem Bergwerk, in dem bis Ende des 19. Jahrhunderts Kupfer abgebaut wurde. Seit 1882 war es verschlossen. Die Schatzsuche nach dem Bernsteinzimmer in dem stillgelegten Bergwerk, einem 7,4 Quadratkilometer großen Labyrinth in verschiedenen Etagen, hat bisher allerdings keinen Erfolg gebracht. Bisher fanden die Schatzsucher nur eine Maschinenpistole Baujahr 1944, eine alten Leuchtmunitionspistole, einen Gasmaskenbehälter, Uniformreste aus schwarzem Tuch und Wehrmachtsgeschirr.
Fundstücke
Eine weitere großangelegte Suche in dem Erzgebirgsdorf fand im Februar 2008 statt. Hunderte Journalisten aus aller Welt waren nach Deutschneudorf geströmt, nachdem die Presseagenturen gemeldet hatten: „Auf der Suche nach dem Bernsteinzimmer wollen Schatzsucher in Deutschneudorf rund zwei Tonnen Gold in einem Hohlraum im Felsgestein geortet haben.“ Der Bürgermeister Heinz-Peter Haustein hatte damals erklärt, dass bei Untersuchungen elektromagnetische Wellen ins Bergmassiv geschickt worden seien und die Messergebnisse eindeutig ein Vorkommen von Edelmetall belegt hätten. „Es ist definitiv kein Eisen. Das ist Gold, vielleicht auch Silber. Wir erwarten entweder Gold vom Bernsteinzimmer oder von diesem Gold Hinweise zu einem weiteren Versteck.“ Doch weder auf Gold nach Silber waren die Schatzsucher gestoßen. Der Berg hatte nur Wasserfontänen freigegeben.
Den dritten Anlauf unternahmen die Schatzgräber zwischen Sommer 2015 und Frühjahr 2016, nachdem sie einen Tipp aus den USA bekommen hatten. Vier Kisten sollten sich in einem Hohlraum, 25 Meter unter der begehbaren Sohle, im Fortuna-Stollen befinden. Mit leistungsstarken Pumpen wurde das Wasser aus dem Hohlraum gepumpt, doch wieder war das Ergebnis ernüchternd. Keine braune Schatzkammer weit und breit.
So bleibt der Mythos vom verschollenen Bernsteinzimmer in den Stollen unter Deutschneudorf weiterhin bestehen. Und da gerade mal 20% der Strecken wieder geöffnet sind und der Rest noch weiterhin im Dunkeln liegt, wird sicherlich weiter gegraben und gesucht…
Ein Versteck wurde auch auf dem Bahnhofsgelände vermutet und mit schwerem Gerät durchsucht
Quellen:
Brumm, Dieter: Ein Dithmarscher will Görings Goldschatz bergen, in: Flensburger Tageblatt vom 21.9.2013
Karkheck, Volker: Deutschneudorf – Was versteckten die Nazis hier?, in: Bild vom 25.3.2012
Kellerhof, Sven Felix: Sprengt endlich den Schatz-Bunker!, in: Die Welt vom 9.10.2013
Kohl, Christiane: Nazi-Gold in Deutschneudorf: Jäger des verlorenen Schatzes, in: Süddeutsche Zeitung vom 17.5.2010
Kohrt, Wolfgang: Im deutsch-tschechischen Grenzgebiet wird nach dem Bernsteinzimmer und dem Aufschwung gesucht, in: Berliner Zeitung vom 31.5.1998
Honnigfort, Bernhard: Schatzgräber in Deutschneudorf – Die Suche nach dem Nazi-Schatz, in: Frankfurter Rundschau vom 26.10.2012
Ulbrich, Mario: Görings Schatz gefunden – aber nicht hier, in: Freie Presse
Internet-Auftritt fortuna-bernstein.de (aufgerufen am 11.10.2016)
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